Wiener Stücke


                Textproben


    



Christine - Rückkehr nach Wien

  PERSONEN: 


  RENE Allermann, Erfolgsautor 


  RUTH Allermann, seine Frau 


  GEORG, sein Manager und Agent


  CHRISTINE, eine junge Schauspielerin


  STIMME


  Anmerkung zum Text: 

  Christine - französisch ausgesprochen 

  Christine - deutsch ausgesprochen 



Eine luxuriöse Hotelsuite


Prolog 


Aus dem OFF eine STIMME. 


STIMME: 

Warum sind Sie wiedergekommen? 


RENE: 

Ja

ich liebe sie

die Toskana 

Viel mehr noch

ich brauche sie 

Aber dennoch ist es von Nöten 

von Zeit zu Zeit 

die Örtlichkeiten 

zu wechseln 


STIMME: 

Und wieso kommen Sie erst jetzt?


RENE: 

Die Frage ist falsch gestellt 

Denn eigentlich 

war ich nie fort 

Wie viele Menschen leben hier? 

leben hier 

in ihren Träumen

in denen sie 

ferne Länder bereisen 

oder gar 

mit dem Gedanken spielen 

auszuwandern

Ich dagegen 

habe diese Stadt 

nie verlassen

Meine Helden 

Wie oft schritten sie nachts 

einsam und verlassen 

über den Michaelaplatz 

oder an der alten Donau entlang? 


STIMME: 

Wie oft saßen Sie in Cafés? 

Wohnten in schmierigen Pensionen 

oder kamen über Vororte nicht hinaus? 


RENE: 

Nun

die Vergangenheit 

ist abgegrast 

Es ist an der Zeit 

dass ich mich 

der Gegenwart widme


STIMME: 

Dann werden Sie auch 

Christine 

wieder sehen? 


RENE: 

Christine bitte 

Sie heißt Christine

und nicht Christine 

Verstehen Sie den Unterschied?

Was für Welten liegen 

zwischen Christine 

und Christine


STIMME: 

Nun 

werden Sie Christine wieder sehen? 


RENE:

Ich bin zurückgekommen 

um die Vergangenheit 

gegen ein jetzt einzutauschen

Und Christine

Ich weiß noch nicht einmal 

wo sie wohnt

Wissen Sie es? 

Ich meine 

alles hat doch seinen Platz


Erste Szene 


GEORG und RUTH betreten das Zimmer. 


GEORG: 

Er muss verrückt geworden sein 

anders kann ich es mir nicht erklären 

verrückt 

einfach verrückt 


RUTH: 

So beruhige dich 

Versuche ihn zu verstehen 

Er war doch so lange nicht mehr hier 


GEORG: 

Was hat das denn damit zu tun?

Auf der ganzen Welt 

sind wir gewesen 

Die Klatschkolumnisten Hollywoods 

die Pariser Kritiker 

Alle hat er gemeistert 

nur in der eigenen Stadt 

dreht er durch


RUTH: 

Jetzt setz dich doch 

Ich mache uns erst mal einen Drink 

und um Gottes Willen 

beruhige dich 

Du wirst sehen 

der Whisky 

wird dir gut tun 


GEORG: 

Leck mich am Arsch 

mit deiner mütterlichen Philosophie 

Wie viele Drinks 

hast du ihm denn gemixt? 

Nüchtern 

kann doch einer allein 

nicht soviel Scheiße bauen 


RUTH: 

Ach so ist das

Jetzt soll ich auf einmal 

Schuld haben 

Das ist mal wieder 

typisch für dich 

Also 

darf ich dich vielleicht 

an eine Kleinigkeit erinnern? 

dass du 

seine Reden schreibst 


GEORG: 

Was nützen die schönsten Reden 

wenn er sich nicht daran hält 


RUTH stellt ihm einen Drink hin. 


RUTH: 

So

jetzt trink erst mal 

Schau

du siehst das alles 

zu schwarz 

Uns geht es doch gut 

René

ist einer der bekanntesten 

und bestbezahlten 

Autoren 

Was kann da so 

ein kleiner Fauxpas 

schon ausrichten?

Ich meine 

ist es nicht ganz natürlich 

dass man nach so vielen Jahren 

jemanden wieder sehen will?


GEORG: 

Das ist mir schon klar 

dass das deinen geistigen Horizont 

überschreitet 

Wir leben von diesem jemanden 


RUTH: 

So kannst du mit mir nicht reden 


GEORG: 

Ich kann noch ganz anders 


Er entfernt sich. 


RUTH: 

Wohin gehst du? 


GEORG: 

Wenn René kommt 

ich bin auf meinem Zimmer 


Er verlässt das Zimmer. 

Sie geht zur Bar nimmt sich ein Glas und eine Flasche, 

dabei weint sie leise. 


Zweite Szene 


RENE betritt das Zimmer.

RUTH weint, vor ihr steht eine fast leere Flasche. 


RENE:

Weißt du eigentlich 

dass du unheimlich schön aussiehst 

wenn du weinst 

Das hat so was 

imaginäres 

Wie war ich? 


RUTH:

Gut

aber 


RENE:

Ich weiß schon 

auf was du 

hinaus willst 

Es war mir ein inneres Bedürfnis 

und außerdem 

Ich wollte euch überraschen 

Eifersüchtig? 


RUTH:

Mache ich den Eindruck?


RENE: 

Ich fühle mich richtig wohl 

und Christine 

das ist schon gar nicht mehr wahr 


RUTH: 

Warum belügst du dich selber? 

Christine 

ist immer wahr 

und wird es auch immer bleiben 

Bis das der Tod euch scheidet 


RUTH beginnt hysterisch zu lachen 


RENE: 

Gut 

dass es dir wieder besser geht 

Ich werde mich ein wenig hinlegen 

Und heute Abend 

Ruth

auf dem Empfang 

werden wir tanzen 

Ruth 

nur wir beide 

Freust du dich?


Dabei tanzt er im Walzertakt in das Nebenzimmer. 


RUTH: 

Du sollst Georg anrufen 

er ist auf seinem Zimmer 


Dritte Szene


GEORG telefoniert und zieht sich dabei aus. 


GEORG: 

Ja 

Wolfgang 

ja 

wir haben uns jahrelang 

nicht gesehen 

Ja 

Wolfgang 

Hast du es auch gesehen 

ja 

deswegen rufe ich an 

Vielleicht in der Bar heute Abend 

Ja 

wir reden auch 

über Frauen und Fußball 

Kannst du mir einen Gefallen tun? 

Ja 

wir reden auch 

über Frauen und Fußball 

ich verspreche es dir 

Pass auf 

Ich brauche eine 

deiner mittelmäßig 

begabten Schauspielerinnen 

Ja 

das war ein Scherz 

Nein

das war keiner 

Ich schicke dir gleich ein Foto 

Ja

über das Finanzielle 

reden wir heute Abend 

Ja

wir reden auch über Frauen 

Also 

ich muss Schluss machen 

Servus derweil 

Baba 


Er legt auf.


Arschloch 


Vierte Szene


RUTH blättert in einer Illustrierten. RENE kommt aus dem Nebenzimmer. 


RENE:

Wo ist Georg? 


RUTH:

Drüben 


RENE:

Hat er zu tun? 


RUTH.

Er telefoniert


RENE:

Willst du was trinken? 


RUTH:

Mhm 


RENE:

Was liest du?


RUTH: 

Ich denke 

du bist müde 

und schläfst


RENE:

Diese Hotelzimmer


RUTH: 

Du wolltest mir doch etwas einschenken 


RENE: 

Die Duschen sind wie 

Ich sollte mal etwas 

über Hotels machen 

Die Leute machen sich 

ganz falsche Vorstellungen 

Und in Filmen 

sind es 

falsche Einstellungen 

Alles wirkt groß und elegant 

Aber wie beschreibt man 

Unpersönlichkeit? 

Und was versteht 

das Management 

unter Gastlichkeit? 

Beruhigend 

ist da nur 

die schöne Aussicht 

Ja

wir haben wirklich 

eine schöne Aussicht 

Die Dächer von Wien 

sind schon etwas besonderes 

Auch darüber 

sollte ich einmal schreiben 

Die Dächer von Wien 

Ja

die Dächer von Wien 

Die Ortung 

der Wiener Dächer 

Ziegel um Ziegel 

Wäre das Bett 

bloß nicht so groß 


RUTH ist inzwischen von hinten an RENE herangetreten. 

Sie umarmt ihn und öffnet ihm das Hemd. 


Plötzlich macht RENE sich frei. 


RENE: 

Ich weiß etwas Besseres 


Fünfte Szene


GEORG betritt das Zimmer. 


GEORG: 

Rene? 

Ruth?


Er geht durch das Zimmer. Als er merkt, dass er alleine ist, nimmt er lustlos ein Hochglanzmagazin und liest laut eine Liebesgeschichte vor. 

Nach einer Weile klingelt das Telefon. 

GEORG nimmt den Hörer ab. 


GEORG: 

Ja hier 214 

Wir haben nichts bestellt 

Wenn ich Ihnen doch sage 

Hören Sie 

Da wird sich jemand 

einen Scherz 

erlaubt haben 

Was gehen mich Ihre Kosten an 


Er legt auf und liest weiter in der Zeitschrift. 


Hinkend betritt RUTH das Zimmer. 


GEORG: 

Wo kommst du denn her? 


RUTH: 

Gut

dass du da bist 

René ist weg 


GEORG: 

Wie weg? 


RUTH befreit sich von ihren Schuhen und massiert sich 

die Füße. 


RUTH: 

Wir wollten Essen gehen 

Diese Schuhe 

Ich habe mich umgezogen 

Meine Füße 

Als ich fertig war 

war er weg 


GEORG: 

Was machte er denn 

für einen Eindruck 

auf dich? 


RUTH: 

Wie immer 

Nein

warte 

Eigentlich war er wie früher 

Kannst du dich noch 

an unsere Hochzeitsreise erinnern? 


GEORG: 

Du meinst wohl eure 


RUTH: 

Wie er alle Plätze 

im größten Cafe 

am Markusplatz 

reserviert hat 


GEORG: 

Dann hat er also 

das Essen bestellt 


RUTH: 

Woher weißt du? 


GEORG: 

Die Hoteldirektion hat sich erlaubt 

diesen kleinen Scherz 

auf unsere Rechnung zu setzen 


RUTH: 

Er war wie früher 


GEORG: 

Jetzt setz dich 

und hör mir genau zu 

Also

In ungefähr zwei Stunden 

wird hier 

eine junge Schauspielerin 

auftauchen

die sich als Christine 

ausgeben wird 

Und wir werden so tun als ob 


RUTH: 

Aber René wird doch nicht so dumm sein 

und 


GEORG: 

Er wird

verlass dich darauf 

Und du meine Liebe 

wirst so tun 

als wäre es die Echte 

Verstehst du?

für dich und für mich 

ist sie die echte Christine 

Ich habe Bilder von ihr gesehen 

die Ähnlichkeit ist verblüffend 


Wieder geht das Telefon. RUTH geht an den Apparat. 


RUTH: 

Ja

hier 214 

Für dich Georg

der Veranstalter 


GEORG nimmt das Telefon. 


GEORG: 

Schön

dass Sie anrufen 

Richten Sie es so ein

dass wir noch 

einen kleinen Fototermin 

dazwischen schieben können 

Ja

Christine 

ist gefunden 

Und das wollen wir natürlich 

der Öffentlichkeit 

nicht vorenthalten 

Danke

Servus 


RUTH: 

Und wenn die richtige Christine 

das mitbekommt

die wird doch 


GEORG: 

Nichts wird sie 

Ich habe mir das genau überlegt 

Wenn die richtige Christine

morgen die Zeitung liest

wird sie 

ihren René 

mit einer anderen Frau sehen 

Sie wird denken

dass er sie nie gemeint hat 

So einfach ist das 


RUTH schaut ihn entfremdet an.


GEORG: 

Du brauchst gar nicht so zu schauen 

Was ist denn los? 


RUTH: 

Du hast wohl überhaupt keine Skrupel 


GEORG: 

Jetzt komm mir nicht so 

Es hat dich doch sonst nie interessiert 

Für wen tue ich denn 

das alles? 

Sag mir 

für wen tue ich denn 

das alles? 


RUTH: 

Du 

tust es für dich 

Georg 

für dich 




Café Landsmann


Der Tierpräparator

  PERSONEN: 


RUDOLF Tierpräparator 


MARION  Jugendliebe 


NIEKISCH Nachbarin



Das Stück spielt in der heutigen Zeit, in einer Altbauwohnung. 

Ein großes Zimmer.

Zentraler Punkt: ein altes Karussell, das in drei Segmente eingeteilt ist. 


1.Segment: Am See (Gebirgslandschaft, ein künstlicher See mit Schilf, einem ausgestopften Schwan und einem Boot)


2.Segment: Krankenhaus


3.Segment: Hochzeitszimmer (ein Doppelbett mit Nachttisch etc. alles wie neu eingepackt)


Mitten im Raum steht ein Arbeitstisch mit Utensilien. 

In einer Ecke ein Feldbett, daneben ein kleiner Kocher, ein großer Schrank.

Auf der einen Seite eine Schiebetür, die offen steht und damit einen Blick in den Flur gewährt, in dem mehrere

Tierpräparationen stehen.

Parallel die Korridortür mit Briefschlitz.

Die Wände im Zimmer sind notdürftig gestrichen. 

Der Durchbruch ist in Umrissen (wie das Karussell)noch zu erkennen.

Neben dem Karussell: das Schaltpult mit einem Plattenspieler (aus den fünfziger Jahren). 

Über dem Karussell eine große Lichterkette.

Auf der anderen Seite: eine normale Tür, an der Postkarten aus aller Welt hängen.



Jedes Mal, wenn MARION erscheint, ist sie anders gekleidet.



Erste Szene


RUDOLF sitzt am Tisch und arbeitet an einer elektronischen Schaltanlage. Immer wieder macht er Pausen, sichtlich

kann er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren.

Auf dem Stuhl gegenüber - mit dem Rücken zum Publikum - sitzt eine Frau.

Auf dem Tisch ein großes Telefon.


RUDOLF:

Wir hätten das nicht einführen sollen

es ist ein Fehler gewesen

ein großer Fehler

Den ganzen Tag schon

bin ich unkonzentriert

nervös

Seit über einer Stunde 

sitze ich hier

und gebe eine lächerliche Figur ab

Was soll ich ihr bloß erzählen

wenn sie anruft?


nach einer Weile


Ich könnte ihr erzählen

was ich heute gemacht habe

Sie würde es nicht verstehen

nicht wahr 

Anna?

Sie interessiert sich nicht für uns

Dich hat sie von Anfang an ignoriert

Und zu unserer Hochzeit

weißt du noch?


er lacht


Der Brief

ihr Brief

mit keiner Silbe 

hat sie dich erwähnt

Kein Glückwunsch

nichts

Sie ist von jeher

eine schlechte Verliererin gewesen

Ja

so hat wohl jeder seine Schwächen

Einsam fühl' ich mich

einsam

wie jeden Donnerstag

Weißt du Anna

das Warten und diese Unkonzentriertheit

An Donnerstagen 

fällt es mir schwer

über den Tag zu kommen

Von Donnerstag zu Donnerstag

fällt es mir immer schwerer

über den Tag zu kommen

Der Donnerstag

ist der längste Tag der Woche

nur an Donnerstagen 

bin ich so unkonzentriert

Nein 

nein

wir hätten es nicht einführen sollen

es ist ein Fehler gewesen

Den ganzen Tag

habe ich auf ihren Anruf gewartet

Heute morgen

als der Wecker geklingelt hat

habe ich gedacht 

es wäre das Telefon

Zehn Minuten lang 

habe ich den Hörer

in den Händen gehalten

und HALLO 

HALLO 

Hinein geschrieen

immerzu 

ein HALLO 

HALLO

Ich bin ein Narr 

Anna

ein Narr

Einen alten Narren

hat das Warten 

aus mir gemacht

Dabei sagt man doch

im Alter 

gehen die Uhren anders

schneller

Sagt man nicht

im Alter 

verginge die Zeit 

wie im Fluge?

Ein völliger Blödsinn

Die das sagen

haben doch überhaupt keine Ahnung

kennen keine Donnerstage

haben solche Donnerstage

nie erlebt

Was ich heute gemacht habe 

willst du wissen? 

Nun 

nach dem Frühstück 

und dem Studieren der Zeitung

habe ich den Schrank geöffnet

und deine Kleider 

an die frische Luft gehängt

Es wird Frühling Anna

und da ist es Zeit

die Kleider 

an die frische Luft zu hängen

Die Niekisch

ist natürlich 

wieder am Fenster gestanden

und hat geschaut

dumm 

hat sie geschaut

Ja 

Ja

die Niekisch aus dem Zweiten

die hat es gerade nötig

dumm zu schauen

wo ihr doch der Mann abgehauen ist

Man sagt 

der Niekisch hätte sich abgesetzt

Er soll in die Kasse 

seiner Firma gegriffen haben

der Niekisch

dabei hat die kurz vor dem Konkurs gestanden

Jetzt soll er auf eines Insel leben

mit so einem jungen Ding

Kannst du dir das vorstellen

Anna?

Der Niekisch und so ein junges Ding

einfach lächerlich

Im Haus spricht man davon

dass er seiner Frau 

einen Brief hinterlassen hat

in dem soll gestanden haben

dass sie ihm halt nicht böse sein soll

und dass er nun endlich seinen Jugendtraum

verwirklichen könne

Einfach lächerlich 

das Ganze

wo doch der Niekisch

auch schon weit über sechzig ist

Ein Jahr 

und er wäre in Rente gegangen

Der Alten 

geschieht es ganz recht

ich habe sie nie leiden können


Er setzt sich wieder.


Nein 

nein

das mit deinen Kleidern 

werde ich ihr nicht erzählen

Du weißt ja 

wie sie ist

Am Ende 

hält sie mich für sentimental

oder gar für senil

Nein 

nein

das mit dem Kleiderschrank

werde ich ihr unterschlagen

das geht sie nichts an

Aber die Geschichte 

von der Niekisch

die könnte ich ihr erzählen

die ist amüsant


Er nimmt den Telefonhörer ab.


mit unsicherer Stimme


Guten Abend 

Marion

Schön 

dass du anrufst


Er legt wieder auf.


An Donnerstagen 

sollte ich mehr hinausgehen

sollte mich auf Gespräche einlassen

damit ich in Übung bleibe

An Donnerstagen

verspüre ich immer so ein Kratzen im Hals

und so eine Beklemmung 

in der Brustkorbgegend

von den Schluckbeschwerden 

erst gar nicht zu reden

Immer nur 

an Donnerstagen

immer dann

wenn sie anruft

habe ich diesen dicken Kloß im Hals


Abermals nimmt er den Hörer ab.


Guten Abend


Er hüstelt und legt wieder auf.


Auf keinen Fall

werde ich wegen dieser Geschichte

einen Arzt aufsuchen

Ein Arztbesuch 

kommt für mich

überhaupt nicht in Frage

Ich gehöre nicht zu den Menschen

denen die Decke 

auf den Kopf fällt

die nicht wissen 

was sie tun sollen

und nur aus purer Bosheit und Langeweile

einen Arzt aufsuchen

Ich sehe' sie schon vor mir

diese alten verbitterten Frauen

mit Wasser in den Beinen

wie sie warten

und jede Gelegenheit 

sofort nutzen

um ein Gespräch anzufangen

Erst letzte Woche 

auf dem Friedhof

hat man mir aufgelauert

Freundlich 

treten sie an einen heran

mit der Bitte 

um die Gießkanne

Aber die Gießkanne 

ist ja nur der Anfang

dann kommt das Schüppchen

die Harke

und zu guter Letzt 

eine Einladung zum Kaffee

Alten Frauen 

muss man aus dem Weg gehen

sonst ist man hoffnungslos verloren

Die Witwen 

sind die allerschlimmsten

Ich habe den Eindruck

dass es ihnen nicht ausreicht

nur einen Mann 

unter die Erde gebracht zu haben


Er schaut auf seine Uhr.


Zwei Stunden 

habe ich noch Zeit

In zwei Stunden 

beginnt erst der Spartarif

Marion ist geizig

von jeher

Nein 

nein 

vorher ruft sie nicht an 

Obwohl ich weiß 

dass sie erst gegen Abend anrufen wird 

bin ich schon den ganzen Tag über nervös 

schrecke bei jedem Geräusch auf


RUDOLF steht auf und schüttet sich ein Glas Wein ein.


Marion 

ist als Kind schon sparsam gewesen

das Ökonomische 

vom Vater geerbt

Ich werde nie vergessen

wie sie mich hat stehen lassen

wegen einer großen Tafel Schokolade

Sie ist von jeher 

ein Karrieremensch gewesen

In der Schule schon

hat sie gegen einen hohen Zins

Geld verliehen

Marion 

ist als Karrierefrau

einfach wie geschaffen

Drei Riegel Kokosschokolade 

hatte ich ihr gekauft

weil sie Kokosschokolade 

so gern gemocht habe

Sie aber 

hat sich für den Jungen

aus der Oberschule entschieden

Wegen einer dreihundert Gramm Tafel

Vollmilchschokolade

hat sie mich einfach 

stehen gelassen


RUDOLF nimmt einen kräftigen Schluck.


Gott sei dank 

bin ich nicht nachtragend  

nicht wahr 

Anna?

Nachtragend 

bin ich nie gewesen


Er geht zum Tisch und nimmt die elektronische Schaltanlage in die Hand.


Ich glaube 

dafür ist noch Zeit


Er geht zu dem Schaltpult herüber und baut das neue Teil ein. Die bunte Lichterkette geht an. Dann entfernt er eine der

Planen, die das Karussell abdecken. Eine malerische Gebirgslandschaft wird sichtbar. Davor auf einem künstlichen

See ein Boot, mit dazugehörigem Schilf und einem ausgestopften Schwan.


Jetzt kommst du an die Reihe 

Anna


Er geht zum Stuhl und nimmt sie in die Arme.

Erst jetzt ist zu sehen, dass es sich bei Anna um eine Puppe handelt. 


RUDOLF setzt sie in das Boot.


So Anna 

halt dich gut fest 

gleich geht es wieder rund


Er verschwindet hinter dem großen Schaltpult und betätigt einige Knöpfe. 

Musik ertönt, langsam setzt sich das Karussell in Bewegung.


Anna 

es funktioniert 

Es dreht sich Anna 

es dreht sich 

Mein Gott 

es funktioniert 

ohne dass eine Sicherung herausspringt


Er springt auf die Plattform.


RUDOLF(singend):

ein weißer Schwan

ziehet den Kahn

mit der schönen Fischerin

auf den blauen See dahin

Im Abendrot

schlingert das Boot...


Er springt wieder ab.


So Anna

jetzt halt dich gut fest

Ich probiere das neue Relais aus


Am großen Schaltpult drückt RUDOLF einen Knopf. Plötzlich flackert das Licht. Die Musik und das Karussell werden

immer schneller, was zur Folge hat, dass erst die Arme und dann der Kopf sich von der Puppe lösen und mit voller

Wucht in das Zimmer geschleudert werden.

RUDOLF hält das Karussell an. Betroffen macht er sich daran, die im ganzen Raum verstreuten Teile der Puppe

aufzuheben.

Er bringt sie zu seinem Tisch, nimmt sich Nähzeug und versucht einen Arm wieder anzunähen.

Nach einer Weile macht er eine Pause und schaut auf das Telefon.


RUDOLF:

Immerhin 

hatte ich damals die Möglichkeit

sie zu heiraten

Lang ist das her

Sie wollte unbedingt 

meine Frau werden


Er näht weiter.


Wir sind derselbe Jahrgang

Ein paar Monate 

bin ich nur älter

Bei diesen Arbeiten ist das Garn

das alles Entscheidende

Auf das Garn und die Stiche

muss besondern Wert gelegt werden

sonst wird es keine präzise Arbeit

Das Zusammensetzen 

der einzelnen Stücke

die Naht

all das verlangt 

eine Genauigkeit ohnegleichen

Wenn die Stiche nicht stimmen

ist die ganze Arbeit umsonst

Oft werden die Tiere

in einem so schlechten Zustand angeliefert

dass es einem Kunstwerk gleichkommt

sie wieder so herzurichten

dass sie lebensecht wirken

Ich hatte mal einen Mitarbeiter

der doch tatsächlich 

einem Vulpes zerda

den zwanzig Zentimeter langen Schwanz

mit einem Kreuzstich angenäht hat

Unglaublich 

unglaublich

Gott sei dank 

ist er später 

in die Spielzeugindustrie abgewandert 

Kann man sich bei Tieren 

ein oder zwei 

kleinere Fehler erlauben 

so ist dies 

bei einer menschlichen Präparation 

völlig ausgeschlossen 

Die Präparation 

ist eine künstlerische Arbeit 

die einem alles 

aber auch wirklich alles 

abverlangt 

die wenigsten begreifen das


RUDOLF zieht an dem Arm, um festzustellen ob er hält.


Er legt die Puppe beiseite.


So den einen hätten wir


Langsam könnte sie wirklich anrufen

sie ist längst überfällig

Ein richtig kleiner Trotzkopf 

ist sie gewesen

Anna war schweigsamer

bescheidener

nicht so machthungrig 

wie sie


RUDOLF nimmt den Hörer ab und sagt mehrere Male: »Guten Abend«, jedes Mal in einer anderen Betonung.


Wir hätten es 

bei den Briefen belassen sollen 

Briefe 

sind persönlicher 

und nicht so direkt 

wie ein Telefonat 

Man kann sich Zeit lassen 

bevor man auf eine Frage antwortet

Und diese Fragen 

diese immer gleichen Fragen 

Warst du heute spazieren? 

Was hast du gegessen? 

Was macht die Gesundheit? 

Wie ist das Wetter?

Und 

und 

und 

Fragen 

nichts als Fragen 

Und da Marion 

auf Sparsamkeit 

bedacht ist 

muss ich immer sofort antworten


nach einer Weile 


Was mache ich da? 

Ich blockiere die Leitung


Schnell legt er den Hörer auf.


Für mindestens fünf Minuten 

habe ich jetzt die Leitung blockiert 

Hoffentlich 

hat sie nicht gerade jetzt 

in diesen fünf Minuten 

angerufen 

Ach was rege ich mich auf 

Sie wird es noch einmal versuchen 

Sie wird bestimmt 

noch einmal anrufen 

dafür kenne ich Marion 

einfach zu gut 

Der Abend ist ja noch lang


Er nimmt den anderen Arm und beginnt auch ihn wieder anzunähen.


Marion hat Ehrgeiz 

das nötige Durchsetzungsvermögen 

Ein typischer Frauen Dickschädel 

Da ist sie anders 

als meine Anna

Anna 

hätte vor Wut 

den Hörer auf die Gabel geworfen 

und nie mehr angerufen 

So war sie in allen Dingen 

meine Anna 

Beim ersten Scheitern 

schon im Versuch 

hat sie aufgegeben 

Ein regelrechter Innenmensch 

war sie 

Mich hat sie gebraucht 

um Leben zu können 

Meine Anna 

war bescheiden 

zu bescheiden


Er schaut auf die Uhr.


Jetzt hat sie immer noch nicht angerufen 

Marion ist ein Außenmensch 

überall muss sie dabei sein 

Sie ist schon immer ruhelos gewesen 

ruhelos 

aber dennoch zielstrebig 

Immer neue Ziele 

immer neue Herausforderungen 

Sie hat bestimmt oft 

die Wohnung gewechselt 

Mit jedem beruflichen Weiterkommen 

eine neue Wohnung 

Mit Anna 

wäre das nicht möglich gewesen 

Einen Umzug 

hätte sie allein seelisch 

nicht verkraftet 

In den ganzen vierzig Jahren 

unserer Ehe 

hat keines der Möbelstücke 

seinen Platz gewechselt

Vierzig Jahre 

lebe ich nun hier 

hier in dieser Wohnung 

in diesen Wänden 

Wenn die Maler gekommen sind

ist jedes Möbel 

am Boden angezeichnet worden

damit es nachher 

auch ja wieder an seinen Platz kommt 

Alles muss seinen Platz haben 

alles eine Ordnung 

Ja 

so war sie

die Anna 

Der Liebe Gott und die Ordnung

Der Liebe Gott und die Ordnung

dies waren die Stützen 

ihres Lebens


Er probiert aus, ob auch der zweite Arm hält und legt dann die Puppe beiseite. 


Nach einer Weile hebt er erneut den Hörer ab.


Mehr als dreimal 

werde ich es nicht läuten lassen 

Dreimal 

so wie es sich gehört


Er wählt mehrere Nummern.


Eins

zwei

drei 

Wenn ich nur wüsste

wo ihr Telefon steht 

sieben

acht

neun

Sie hat bestimmt eine große Wohnung 

mit vielen Zimmern

dreizehn

vierzehn

fünfzehn 

Vielleicht ist sie gerade auf Toilette 

oder sie badet 

neunzehn

zwanzig

einundzwanzig

Ich könnte mich verwählt haben 

Bei so einer langen Nummer 

kann das leicht passieren


RUDOLF wartet für einen Moment bevor er die Gabel drückt, dann wählt er erneut.


Eins

zwei

drei

Hoffentlich 

ist ihr nichts passiert

In der Zeitung

ist einmal eine Geschichte

von einer Frau gestanden

die man erst 

drei Monate später

entdeckt hat

Nackt 

auf den Fliesen ihres Badezimmers

Wahrscheinlich ausgerutscht

Schlüsselbeinbruch

unfähig sich zu bewegen

Sie ist einfach verhungert

auf die erbärmlichste Weise verreckt

Das Alleinsein

es hat schon seinen Preis


Er legt auf. 


Wer allein lebt 

der muss auf der Hut sein 

Die Gesundheit 

ist das wichtigste 

man hat ja niemanden 

im Zweifelsfalle 

im Krankheitsfalle 

der einen pflegen kann

Wie viel Magendurchbrüche 

leichte Herzattacken 

Darmverschlingungen 

Nierenkoliken 

werden erst viel später 

halbverwest 

in ihren Wohnungen gefunden 

Ekelhafte Geschichten 

die in letzter Zeit 

immer häufiger auftreten 

Kein Tag vergeht 

wo so etwas 

nicht in der Zeitung steht 

Es gibt fast nur noch Außenmenschen 

Man lebt nur nach außen 

und innen verkümmert man 

bekommt Magengeschwüre 

fault aus 

Hoffentlich 

ist ihr nichts passiert 

Gerade jetzt 

Meinen ganzen Zeitplan 

wirft sie durcheinander 

Als ob ich nichts Besseres 

zu tun hätte 

als auf ihren Anruf zu warten


RUDOLF öffnet eine Hutschachtel in der sich mehrere Perücken befinden, er holt eine blonde Perücke heraus und

tauscht sie gegen die alte von der Puppe aus. Er schraubt den Kopf an die Puppe.


Du bist schön 

Anna 

Blond 

steht dir ausgezeichnet 

Du musst zugeben 

das mit den blonden Haaren 

war eine gute Idee 

von mir 

Du hast zwar jetzt etwas 

an Sinnlichkeit verloren

aber die jugendliche Frische 

wiegt das auf


MARION erscheint im Zimmer. Sie beobachtet RUDOLF bei seiner Arbeit, er kann sie nicht wahrnehmen.


RUDOLF hält den Kopf mit beiden Händen.


RUDOLF:

Sei mir nicht böse 

Anna

aber irgendetwas 

irritiert mich

Die Augen

Anna

Die Augen

Es sind nicht deine

Verzeih Anna

aber es sind nicht 

deine Augen

Die Augenpartie 

ist mir nicht gelungen

Ohne Zweifel

es sind schöne Augen

aber sie passen nicht

Nein 

nein

die Augenpartie 

ist mir nicht gelungen

Die Augen sind der Grund

Mit diesen Augen

bist du nicht 

meine Anna

verzeih die harten Worte

aber mit diesen Augen

bist du eine Fremde 

für mich

Ja 

eine Fremde

Wenn ich nur wüsste

zu wem 

diese Augen gehören?

Ich muss sie schon einmal gesehen haben

Dieses Funkeln 

in den Augen

diese kleinen zwei Flämmchen

kommen mir so vertraut vor


Mit einem geschickten Handgriff holt er beide Augen heraus und steckt sie in seine Tasche.


So 

jetzt bist du wieder meine Anna 

Morgen bekommst du andere Augen 

eine vollkommen neue Augenpartie 

werde ich dir machen 

Morgen Anna 

Morgen ist auch noch ein Tag 

Nicht wahr Anna? 

Das hast du doch auch immer gesagt 

Morgen ist auch noch ein Tag


Er legt die Puppe beiseite und starrt auf das Telefon.


Dass sie nicht anruft 

Bestimmt ist ihr etwas zugestoßen 

Ich sitze hier in einer anderen Stadt 

und weit ab 

stirbt ein Mensch 

auf die erbärmlichste Weise 

Ein Mensch stirbt 

und allen scheint das 

vollkommen egal zu sein 

Wahrscheinlich liegt sie röchelnd 

im Badezimmer 

und versucht mit geschwächter Stimme 

um Hilfe zu rufen 

Aber niemand hört sie 

Vielleicht flüstert sie in ihrer Todesangst 

schon meinen Namen

Rudolf

Rudolf

Wollte sie mich nicht besuchen?

Hatte sie nicht erst

bei unserem letzten Telefonat

davon gesprochen?

Ich blöder Hund

hätte ich doch nur 

ja gesagt

Dann würde sie jetzt nicht im Badezimmer liegen

und vergebens um Hilfe schreien

Die Nachbarn werden denken

der Fernseher läuft

Wer weiß 

was sie für Nachbarn hat

Die Niekisch 

aus dem Zweiten

würde mich glatt verrecken lassen

die könnte dabei stehen

nichts würde die tun

Marion darf noch nicht sterben

Mein Entschluss steht fest

Ich fahre

würde mir das sonst nie verzeihen

In den ganzen Jahren ‑

einmal nur in Urlaub gewesen

Im Schwarzwald

im schönen Glottertal

Am Schluchsee sind wir gewesen

dabei wollte Anna

partout an den Bodensee

Den ganzen Urlaub 

hat sie mir verdorben

mit ihrem ewigen Gequengle

Dabei waren am Bodensee

überhaupt keine Zimmer 

mehr zu bekommen

Alles ausgebucht 

aber das hat sie nicht interessiert 

Sie wollte unbedingt zum Bodensee 

Wenn ich so recht überlege 

war das gar nicht ihre Art 

so auf eine Sache zu bestehen 

ja sich regelrecht 

zu versteifen 

Nein 

das war nicht ihre Art 

Vielleicht werfe ich da 

was durcheinander 

ist ja auch schon so lange her 

Auf jeden Fall 

richtig herausgekommen 

sind wir nie 

die ganzen Jahre nicht


Sein Blick fällt auf die Puppe.


Die Augenpartie

wollte ich doch ändern

Die Augen 

sind die charakteristischsten Merkmale 

einer guten Präparation

Die Augen 

sind das wichtigste 

überhaupt

Die Augen 

werden von jeher

von den Präparatoren unterschätzt

Jeder weiß

dass ich immer besonderen Wert

auf die Augen gelegt habe

Die Augen 

sind das wichtigste

nicht wahr Anna?

Habe ich das nicht immer gesagt?


RUDOLF nimmt die Puppe und trägt sie vorsichtig zu dem Boot.


Es tut mir leid Anna 

aber die Augen müssen warten

Sag nichts 

ich weiß 

ich weiß 

Es hat Komplikationen gegeben 

etwas Unvorhergesehenes 

ist eingetreten


Er setzt sie in das Boot.


Ich werde für ein paar Tage verreisen

Ja

ich werde dich 

für ein paar Tage alleinlassen müssen

Jetzt schau' nicht so

Es ist ein Notfall

glaub mir

Wenn es kein Notfall wäre

ich würde dich nicht alleinlassen

Aber so

Marion braucht Hilfe

und da ist es meine Pflicht


Er deckt das Segment mit der Plane ab.


Den kleinen Koffer werde ich nehmen

den ich seinerzeit Anna 

für ihren Krankenhausaufenthalt

gekauft habe

Der Koffer ist ja so gut wie neu


Er sucht in dem Zimmer nach dem Koffer.


Wo habe ich ihn bloß verstaut?


Er öffnet einen Schrank, in dem sich mehrere Tierpräparationen befinden, darunter auch viele Einzelteile und ein Koffer.

Vorsichtig holt er den Koffer heraus, so als ob es sich dabei um eine Kostbarkeit handeln würde.


Und dann 

stand ich da

eine schlaflose Nacht hinter mir

in dem weißen kalten Flur des Krankenhauses

mit dem kleinen Koffer in der Hand

Verloren

verfroren

Allein stand ich da

mutterseelenallein

Sie muss höllische Schmerzen gehabt haben

Aber sie hat still gehalten

kein Klagen und kein Wimmern

Niemandem 

wollte sie zur Last fallen

Abgefunden 

hatte sie sich mit ihrem Schicksal

Der Liebe Gott weiß schon 

was er tut

das waren immer wieder ihre Worte

Selbst unter den höllischsten Schmerzen

sprach sie noch

von einem Lieben Gott

Sie hätte sich gegen ihre Krankheit

wehren sollen

dann wäre sie mit Bestimmtheit

heute noch am Leben

Wer sein Leben ausschließlich

in die Hände 

der Kirche und der Mediziner legt

ist von vornherein 

hoffnungslos verloren


Er geht mit dem Koffer zu dem Tisch.


Die Dimension 

des Alleinseins 

ist für einen Nichtbetroffenen 

einem Außenstehenden 

nicht fassbar

Vorstellen 

kann man es sich nicht

das Alleinsein

So ist das Leben

man begreift das Glück erst

wenn es einem durch die Hände geglitten ist

Vom Kürschner zum Tierpräparator

zum Tierpräparator aufgestiegen

Was für ein Aufstieg

Vom Kürschner zum Tierpräparator


Er fasst sich an den Kopf.


Ich hätte studieren können

Ich aber 

habe Mäntel gemacht

Mäntel

Mäntel im elterlichen Betrieb

Mäntel

Mützen

Muffs

Alles nur

der Mutter zuliebe

Nach dem Tod der Mutter

bin ich Tierpräparator geworden


Er lacht.


Tierpräparator

Photographie 

wollte ich studieren

Tierpräparator 

bin geworden

Der Beruf des Tierpräparators

hat schon seine Vorteile

ganz ohne Zweifel

Allein wegen der Pension

lohnt es sich

Und bei der Arbeit

hat man seine Ruhe

Nicht umsonst wird behauptet

die Museumsruhe

wäre die gesündeste

Zwischen lebendig wirkenden

ausgestopften Tieren

habe ich die meiste Zeit

meines Lebens verbracht

in absoluter Ruhe


Er fängt sich wieder.


Marion muss durchhalten

Wenn sie im Bad gefallen ist

hat sie wenigstens Wasser

Bis zum Waschbecken oder zur Badewanne

wird sie sich wohl aufraffen können

Ein Tag ohne Essen

das hält man aus

Wenn sie im Badezimmer gefallen ist

hat sie eine Chance

Sie hätte sich nicht übernehmen sollen

Auf der ganzen Welt

ist sie in den letzten Jahren gewesen

Von überall her

habe ich Postkarten

von ihr bekommen

Das konnte ja 

auf die Dauer nicht gut gehen

da musste ja direkt etwas passieren

Der menschliche Körper und die Seele

sind nicht dafür gemacht

einfach nicht fähig

solche Strapazen 

auf die Dauer auszuhalten

Das fremde Essen

die schlechten Hotelbetten

und ganz besonders 

die Zeitunterschiede

sind gesundheitsgefährdend

Auf jeden Fall schädlicher

als meine drei Zigaretten

die ich mir täglich genehmige

Marion ist Nichtraucherin

eine militante Nichtraucherin


Er lacht.


Einmal 

hat sie bei einem Telefongespräch aufgelegt

einfach aufgelegt

nur weil ich dabei geraucht habe

Jetzt liegt sie weit ab

hilflos in ihrem Badezimmer

und wartet darauf

von einem Raucher 

gerettet zu werden


Er nimmt eine krumme selbstgedrehte Zigarette aus der Schachtel, die er soeben aus seiner Jackentasche genommen

hat, und zündet sie sich an. Er nimmt ein paar kräftige Züge. 

Sein Blick fällt auf den Koffer.


Unausgepackt 

habe ich ihn 

vor Jahren 

so in den Schrank gelegt 

Die Krankenschwester 

hatte ihn mir 

auf diesem schrecklichen Flur 

in die Hand gedrückt 

Es war nie meine Art 

in den Sachen 

meiner Mutter herumzuwühlen 

Aber jetzt 

in Anbetracht der Dinge


Vorsichtig öffnet er den Koffer, ganz langsam holt er die obenauf liegende Strickjacke heraus.


Die 

hatte sie immer 

gerne getragen 

Kalt war ihr 

von jeher 

Geschenkt 

hatte ich sie ihr

vor dem ersten Krankenhausaufenthalt 

Wenn sie Angst hatte 

fror sie besonders


Er legt die Jacke beiseite, des Weiteren packt er mehrere kleine hellgrüne Porzellanfläschchen und Seifenstücke aus.

Auf den Tisch stellt er sie wie eine Spielzeugarmee in eine Reihe.


Ich werde mir einen neuen Koffer kaufen 

Noch ist Zeit dazu


Er zieht nachdenklich an der Zigarette.


Plötzlich klingelt es an der Tür.


Die Niekisch


Es klingelt mehrmals. 


Bestimmt die Niekisch 

Will wieder ein Ei 

oder etwas Mehl 

Dabei möchte sie ja nur in die Wohnung 

Ich werde nicht aufmachen 

Wer bin ich denn?

Nein 

nein 

der Niekisch 

mache ich nicht auf 

das wäre ja noch schöner


Es hört nicht auf zu klingeln.


Eine Unverschämtheit

Ich werde mich bei der Hausverwaltung

beschweren

Was kann ich dafür

dass ihr der Mann 

davongelaufen ist?

Ist nicht mein Problem

nein 

wirklich nicht


Jemand versucht an der Wohnungstür den Briefschlitz hochzuheben. 

Eine Frauenhand wird sichtbar. RUDOLF versucht sich zu verstecken.


NIEKISCH:

Hallo?

ich sehe dich

Hallo

Rudolf

Warum machst du nicht auf?

Ich bin es doch

Rudolf?

Ich

Rudolf 

bitte mach auf


Erst jetzt greift MARION in die Handlung ein. Sie tritt von hinten an RUDOLF und berührt ihn. RUDULF dreht sich

erschrocken um.


MARION:

Ich bin es doch

Ich bin es 

Marion

DEINE MARION


RUDOLF:

MARION?

  PERSONEN: 


  RENE ALLERMANN Erfolgsautor




  In einem modernen Kaffeehaus. 

  Die Inneneinrichtung ist »zeitgeistig« (viel Chrom, heller Marmor

  etc.) 

  Auf der einen Seite ist eine Wendeltreppe, die in den Keller

  führt. (darüber Hinweisschilder für die Toilette) 

  Auf der anderen eine Bar mit Spiegeln, daneben eine große

  Pendeltür. Die Vorderfront bildet ein großes Fenster, darauf in

  einer Ecke ein Plakat mit der Aufschrift: 


» HEUTE GESCHLOSSEN

NEUERÖFFNUNG

IN WENIGEN TAGEN«




Erste Szene


An einem Tisch (ein alter Kaffeehaustisch) sitzt der 

»Erfolgsautor«, RENE ALLERMANN, neben sich ein Garderobenständer mit Zeitungen. Tisch, Stuhl und Garderobenständer stehen im krassen Gegensatz zu der 

sonstigen Einrichtung. RENE ALLERMANN trägt einen abgetragenen Anzug. 


RENE ALLERMANN: 

Leer geworden ist es 

Manchmal denke ich 

ich bin allein auf dieser Welt 

wohlgemerkt 

neuerdings erst 

Früher war es auch hier 

nicht so leer 

Da traf man sich 

war dieser Ort Treffpunkt 

für jedermann 

Mir ist es egal 


Er lehnt sich zurück. 


mir ist es immer egal gewesen 

habe immer allein am Tisch gesessen 

An meinem Tisch 

wohlgemerkt 

an meinem Tisch 

Das Schöne 

an dieser Lokalität 

ist die Tradition 

Namentlich wird man begrüßt 

man kennt jede Gewohnheit 

die unterschiedlichen Geschmäcker 

Die Zeitung liegt schon da 

Es ist alles geordnet 

alles geregelt 

Ja 

alles hat hier seinen Platz 

Sicher die Preise erhöhen sich stetig 

aber dafür ist das Personal 

dasselbe geblieben 

Ein beruhigendes 

schönes Gefühl 

in dieselben Gesichter 

immer und immer wieder 

zu blicken 

Die Stimmen 

auswendig gelernt 

Käme jetzt 

der »graue Star« über mich 

oder eine andere Augenkrankheit 

hier 

hätte ich keine Probleme 

37 Schritte bis zur Herrentoilette 

19 bis zum Kuchenbüffet 

Mein Tisch 

der dritte von links 

der rechte Stuhl am Fenster 

Auf dem Tisch 

die aktuelle Kuchenkarte 

je nach Jahreszeit 

Der Aschenbecher 

zwei kleine Öffnungen für Zigaretten 

und eine größere für die Zigarre 

nach dem Kaffee 

Ich selber 

rauche ja nur noch wenig 

die wenigsten wissen es 

Auch hier 

hat es einige Zeit gedauert 

bis sie es registriert haben 

Die Außenwelt 

macht es einem schwer 

alte Gewohnheiten abzustreifen 

wie einen alten 

speckigen Anzug 

Käme ich beispielsweise 

nicht zu den von mir vorbestimmten Zeiten 

in dieses Café 

Fragen würden mir gestellt 

eine Lawine an Fragen 

Sorgen 

würde man sich machen 

die Ordnung 

käme durcheinander 

Vor drei Jahren beispielsweise 

starb mein Bruder 

eine lästige Geschichte 

wirklich unangenehm 

Da ich 

als einziger nächster Verwandte 

naturgemäß 

die Aufgabe hatte 

alles in die Wege zu leiten

kam mein Leben 

für eine kurze Zeit 

aus dem Takt 

eine unangenehme Geschichte 

Das hiesige Personal 

ein wirklich sehr aufmerksames Personal 

las die von mir aufgegebene Todesanzeige 

las meinen Nachnamen 

und zog ihre Schlüsse daraus 

Als ich Tage später 

zur gewohnten Zeit 

zu der von mir vorbestimmten Zeit 

meinen Tisch 

aufsuchen wollte 

war dieser besetzt 

Mein Tisch 

den ich von jeher 

immer 

zu einer ganz bestimmten Zeit aufsuche 

war besetzt 

Eine peinliche Angelegenheit 

für beide Seiten 

Man hielt mich für tot 

nicht mehr existent 

Man muss sich das einmal vorstellen 

Es hat naturgemäß 

Konsequenzen mit sich gezogen 

Ich habe mich 

auf eine Art und Weise 

dem Personal genähert 

man möge mir das nachsehen 

Ja 

ich will es offen gestehen 

an diesem unsäglichen Tage 

habe ich dem Personal 

meine Verwandtschaftsverhältnisse 

erläutern müssen 

habe allen Mitarbeitern 

dieses ehrwürdigen 

traditionsreichen Cafés 

meinen Vornamen mitgeteilt 

Man kann durchaus sagen 

dass mir diese Handlungsweise 

abgezwungen wurde 

Ein bedeutender Tag 

in der Geschichte dieser Lokalität 

Ich habe meinen Bruder 

ohnehin nie leiden können 

Selbst über den Tod hinaus 

hat er mir noch Ärger 

und Schwierigkeiten bereitet 

Bin seitdem auch nicht mehr 

an seinem Grab gewesen 

Wer über seinen Tod hinaus 

noch in der Lage ist 

anderen 

Unannehmlichkeiten zu bereiten 

hat es nicht verdient 

dass man ihn besucht 


Er nimmt vom Zeitungsständer eine Tageszeitung mit Halter und blättert sie durch. 


RENE ALLERMANN: 

Unsinn

Wahnsinn 

Schwachsinn 

Unsinn 


Bei den Todesanzeigen hält er inne.


Im Sommer 

sterben sie wie die Fliegen 

Das Klima der Stadt 

ist im Sommer 

nicht für jedermann 

bekömmlich 

Obwohl der Winter 

naturgemäß 

für den Tod prädestiniert ist 

sterben sie hier 

im Sommer 

Die Leichenbestatter 

und die Angehörigen 

freuen sich über diese Tatsache 

Das Bestattungsgeschäft 

ist in dieser Stadt 

ein Saisongeschäft 

Der Leichenbestatter 

kommt leichter in den Boden 

Die Angehörigen sind sicher 

vor einer Verkühlung 

während den Bestattungsfeierlichkeiten 

Mein Bruder 

ist natürlich im kältesten Winter

den die Stadt 

seit Jahrzehnten 

zu verzeichnen gehabt hat 

gestorben 

Allein die Ausschachtung mit Presslufthammer 

und Bagger 

hat mich ein Vermögen gekostet 


Er blättert bis zu den Kleinanzeigen weiter. 


RENE ALLERMANN: 

»Sinnliche Wachauerin sucht gleichgesinnten Wachauer« 

»Langenzersdorfer Schlachter 

sucht Gehilfen zwecks Hausschlachtung« 

»Viehzüchter aus Klosterneuburg 

sucht erfahrenen Besamer 

gegen gute Bezahlung« 

»In dreißig Tagen Millionär 

Das Handbuch 

für den erfolgreichen Geschäftsmann 

Wegen Geschäftsauflösung 

jetzt um fünfzig Prozent billiger«


Ungläubig schüttelt RENE ALLERMANN mit dem Kopf. Er steht auf, hängt die Zeitung an den Haken und schaut aus dem Fenster. 


Nach einer Weile 


RENE ALLERMANN: 

Es gibt wenige Gäste 

die meiner Natur entsprechen 

gerade im Sommer 

Im Sommer 

fühlt man sich oft allein 

Zu viele Gesichter 

fremde Gesichter 

die hier 

kurz eintauchen 

in die Geborgenheit 

in die Wiener Gemütlichkeit 

flüchtend 

vor dem hektischen Strom 

der durch die großen Geschäftsstrassen fließt 

Das Klicken der Photoapparate 

Kreischende Kinder 

überfüllte Reisebusse 

der Benzingestank 

All das 

nimmt im Sommer 

dermaßen 

Ausmaße an 

dass mir oft der Gedanke kommt 

wieder zu reisen 

Ich habe lange 

keine Reisen mehr unternommen 

Nicht 

dass ich es mir nicht leisten könnte 

weit gefehlt 

Auch ist es nicht die Angst 

in einem fremden Land 

das Zeitliche zu segnen 

Mein Bruder ist tot 

ihn kann ich nicht mehr schädigen 

Nein nein 

zuviel 

habe ich meinen Sinnen zugemutet 

In jungen Jahren 

zuviel gespeichert 

naturgemäß 

alles unreflektiert gespeichert 

Ich bräuchte sieben Leben 

um all das aufzuarbeiten 

Allein für die Sortierung 

würde ein Leben nicht ausreichen 


Er setzt sich wieder. 


RENE ALLERMANN: 

Ruhelos 

bin ich umhergezogen 

bis ich dann doch wieder 

hier 

angelangt war 

Die Stadt ist wie ein Sog 

sie holt sich ihre Kinder 

immer wieder zurück 

alles nur eine Frage der Zeit 

Den Ausbruch 

habe ich versucht 

vor Steinhof 

Angst gehabt 

Jeder kreative Mensch 

landet zwangsläufig 

irgendwann 

in seinem Leben 

in Steinhof 

Alle wirklichen Künstler der Stadt 

sind irgendwann 

in ihrem Leben 

einmal 

in Steinhof gewesen 

weil sie nicht aufgepasst haben 

den Ausbruch 

nicht versucht haben 

Mir ist er gelungen 

der Ausbruch 

in der ganzen Welt 

bin ich gewesen 

Im Orient den Kaffee getrunken 

Es ist eine deprimierende Erfahrung 

für mich gewesen 

feststellen zu müssen 

das selbst in den Ländern 

wo die Kultur des Kaffeekochens 

zuhause ist 

man nicht in der Lage ist 

so wie hier 

den Kaffee zu kochen 

Traurig traurig 

Ich dachte noch bei mir 

als ich diese Reisen 

mit gutem Willen 

und einem Schuss 

jugendlicher Naivität unternahm 

es hielte sich alles so 

wie mit der Sprache 

aber auch da 

wurde ich um Erfahrungen reicher 

Wie oft wurde ich enttäuscht 

als ich ausländische Autoren 

zuvor in deutscher Übersetzung 

später neugierig geworden 

im Original las 

welche Verschiebungen 

fanden da statt 

Fälschungen 

nichts als 

dilettantische Fälschungen 

Eindrücke 

Empfindungen 

alles so entfremdet 

übersetzt 

dass gar 

ein neues Bild entstand 

Beispielsweise »Lysistrate« 

von Aristophanes 

Gewaltige Kluften 

liegen zwischen der billig Ausgabe in gelb 

und einer wissenschaftlichen 

fundierten 

gebundenen Ausgabe 

Ja gebunden 

und dementsprechend teuer

dachte ich 

in meiner jugendlichen Naivität 

Jahre musste es dauern 

bis ich dahinter kam 

Geld musste ich verdienen 

um mir ein Bild 

machen zu können 

von der Qualität an Übersetzungen 

Wissen ist Macht 

dachte ich damals 

Heute hat es viel mehr 

mit Geld zu tun

Im Übrigen 

ist der Beruf des Übersetzers 

von jeher 

ein Hungerleiderberuf 

Obwohl 

die ausländischen Autoren 

die unsäglichen Bücherhitlisten anführen 

und die Verleger 

Millionen scheffeln 

verdienen die Übersetzer 

Hungerleiderlöhne 

und die heimatverbundenen Dichter 

werden gar ganz vergessen 


Er schaut auf seine Taschenuhr. 


RENE ALLERMANN: 

Die Zeit 

geht ihre eigenen Wege 

und ich den meinen 

Jahrelang in Spanien gelebt 

Dem Klima zuliebe 

Der Gesichtshaut 

hat es auch gut getan 

ohne Zweifel 

Aber der Magen 

er weigerte sich 

den spanischen Kaffee 

zu honorieren 

wobei ich nichts Nachteiliges 

über den spanischen Kaffee sagen könnte 

Bin halt Heimat verbunden 

gebe ich offen zu

Im Alter

hat man sowieso 

vielmehr Möglichkeiten 

offen etwas zuzugeben 

Ja Heimat verbunden 

das bin ich 

ganz ohne Zweifel 


Er schaut sich etwas nervös um, dann wieder fällt der Blick auf 

die Taschenuhr. 


RENE ALLERMANN: 

Leer geworden ist es 

Noch keine zehn Uhr 

und schon niemand mehr da 

Die Bedienung 

so gerne ich sie mag 

und schätze 

so lange ich sie 

schon kenne 

Sie könnte sich ruhig 

wieder einmal 

blicken lassen 

Wahrscheinlich 

wieder eine dieser 

jetzt immer häufiger werdenden 

Betriebsversammlungen 

Nicht 

dass ich etwas gegen Gewerkschaften hätte 

nein wirklich nicht 

Aber einer 

der im Dienstleistungsgewerbe 

an vorderster Front tätig ist 

für den 

kann doch ein gewerkschaftlicher Beschluss

nicht Bestand haben 

Nein wirklich nicht 

ist er doch auf Trinkgelder angewiesen 

Nicht so der Fall 

im gegenüberliegenden Theater 

Wären die Herrschaften 

dort

auf das Trinkgeld angewiesen 

auf die Bezahlung 

durch das Publikum 

hätte die Stadt 

eine nicht zu verachtende Anzahl 

an Hungerleidern mehr 

Sie könnten sich dann in die Schlange

der Übersetzer einreihen 


Er lacht kindisch. 

Man merkt ihm an, dass das gegenüberliegende Theater für ihn eine tiefe Bedeutung hat. 


RENE ALLERMANN: 

Leistung 

Freundlichkeit 

Service 

Hierarchie 

Ja 

darüber redet niemand 

Über die Staffelung der Trinkgelder 

redet niemand 

jedenfalls nicht öffentlich 

Umso mehr sich jemand 

im Dienstleistungsgewerbe 

der Menschenwürde entzieht 

wohlgemerkt 

im Dienstleistungsgewerbe 

und nicht im gegenüberliegenden Theater 

desto höher ist das Bakschisch 

das Trinkgeld 

Ist es nicht so? 

Lassen wir uns 

nicht jede Art 

an Schmeicheleinheiten 

an Schmeichelkeiten 

an Schmeicheleien 

bezahlen? 

In einer Zeit 

der festprogrammierten Eitelkeiten 

erleben 

die professionellen Schmeichler 

ohne Zweifel 

einen Aufschwung 

der sich allabendlich 

zu Buche schlägt


Er wiederholt den Satz langsam. 


In einer Zeit 

der festprogrammierten Eitelkeiten 

erleben die professionellen Schmeichler 

ohne Zweifel 

einen Aufschwung 

der sich all abendlich 

zu Buche schlägt

Ein wirklich schöner Satz 

ein wirklich schöner 

gelungener Satz 

Ein Satz 

der sich lohnt 

festgehalten zu werden


Er nimmt Stift und Papier und schreibt den Satz langsam auf, dabei wiederholt er den Satz murmelnd. 

Er betrachtet das Geschriebene. 


RENE ALLERMANN: 

Wirklich 

ein schöner 

gelungener Satz 

Was 

frage ich 

nutzen da 

Tarifverhandlungen 

Tarifabschlüsse

Das Trinkgeld 

recht verstanden 

bewusst eingesetzt 

ist eine der letzten Bastionen 

der freien Entscheidung 

der individuellen Entscheidung 

überhaupt 

Man kann den Stellenwert 

der eigenen Person 

beziehungsweise 

das was einem

an Höflichkeiten 

Aufmerksamkeiten 

entgegengebracht wird 

in Prozente messen 

Moment einmal 


Er steht auf und geht zur Tafel, auf der sonst aktuelle Tagesangebote vermerkt sind, und wischt das Geschriebene, 

ohne es zu lesen einfach weg

(HEUTE GESCHLOSSEN NEUERÖFFNUNG IN WENIGEN TAGEN). 

Er nimmt ein Stück Kreide und schreibt die Prozentzahlen auf. 


RENE ALLERMANN: 

ZEHN PROZENT 

und man gehört zur Gattung 

der 

STUDIOSI 

Der Ober drückt seine Besorgnis 

über den ausbleibenden 

sonst regelmäßigen Scheck 

der Eltern aus 

DREISSIG PROZENT 

Die Bemerkung 

der Glückwunsch 

zum bestandenen 

EXAMEN

steckt den Rahmen des Entgegennehmenden 

SECHZIG PROZENT 

Der Kellner verleiht einem 

ohne die rechtliche Grundlage 

dafür zu besitzen 

die 

DOKTORwürde 

Bei 

NEUNZIG PROZENT 

gar 

wird man 

ohne es zu wollen 

in den Staatsdienst gehoben 

HERR GEHEIMRAT 

HERR HOFRAT 

HERR BURGSCHAUSPIELER 

HERR KAMMERSÄNGER 

HERR MINISTERIALDIRIGENT 


Da er keinen Platz mehr auf der Tafel hat, hört er mit der Auflistung auf. 


An sonnigen Tagen 

sogar 

in den Adelsstand 

Meine Bedienung 

und ich 

wir haben uns 

auf Dichter 

geeinigt 

Dichter 

klingt 

handwerklicher 

als Poet 

oder Autor 

In Dichter 

steckt Handlung 

Leben 

Ich bin Handwerker 

aber langsam könnte die Bedienung 

wirklich kommen 


Er geht wieder zu seinem Platz. 

Dabei 


RENE ALLERMANN: 

Um mir die Zeit zu vertreiben 

könnte ich die Toilette aufsuchen 

37 Schritte 

32 1/2 

bis zur Tür 

der Rest 

bis zum Becken 

Jetzt ist sie leer 

eine Gelegenheit 

die ich ausnutzen sollte 

Leer muss sie sein 

menschenleer 

Eine Grundvoraussetzung für mich 

Durch Erziehung 

so komprimiert 

dass ich nicht kann 

wenn jemand dabei ist 

neben mir steht 

In einem so großen Café 

es zu schaffen 

allein zu sein 

ist schon eine Kunst 

eine große Kunst 

Ich finde 

es gibt Dinge 

im Leben eines Menschen 

die sollte er 

allein erledigen 

Der Übergang 

vom Mädchen zur Frau 

Das Gebären 

Der Tod 

All das 

muss man allein erledigen 

man muss es nur wissen 

sonst scheitert man 

Der Stoffwechsel 

beispielsweise 

Der Stoffwechsel 

beziehungsweise 

was daraus resultiert 

gehört mit Bestimmtheit dazu 

Ich hasse es 

in einer Art Kollektiv 

mein Geschäft zu erledigen 


er grinst 


Gegenüber die 

die

müssen es 

die lieben 

vergewerkschaftlichen Künstler 

Vor Premieren 

habe ich mir sagen lassen 

sitzen sie 

wie die Hühner 

auf der Stange 

Ich für meinen Teil 

bringe das nicht fertig 

Das Stöhnen 

Das Pressen 

Das Aufatmen 

All das 

bringt mich aus dem Konzept 

hindert mich 

es einfach zu tun 

Es ist schon eine Art der Vergewaltigung 

die einem da 

die Lokalität aufzwingt 

Ich für meinen Teil 

bin so sensibel 

dass ich Lokalitäten meide 

die mehr 

als ein Urinalbecken besitzen 

Zwei Becken 

sind in Ausnahmefällen 

wohlgemerkt 

in Ausnahmefällen 

noch zu tolerieren 

Aber die Vorstellung 

von drei Becken 

und das mittlere 

ist nur frei 

macht mich rasend 


nach einer Weile 


Ob sie meinen Kaffee vergessen haben? 

Ich werde zum Kuchenbüffet gehen 

das sind weniger Schritte 


Er geht mit geschlossenen Augen in Richtung Thekenbereich, dabei zählt er laut. 


RENE ALLERMANN: 

Eins zwei drei 

vier fünf sechs 

sieben 

acht neun zehn 

elf zwölf dreizehn


Er stößt gegen die moderne Theke. 


Was ist denn das? 

Wo sind

der dreizehnte

und der vierzehnte Schritt?


Er berührt vorsichtig die moderne Theke. 


Ein Kunstwerk? 

Hier? 

Hier ein Kunstwerk? 

Hier herinnen 

hat doch noch nie 

ein Kunstwerk 

gestanden 

Hier herinnen 

hat sich noch nie 

ein Künstler verirrt 

Kunstwerk 

Kunstzwerg 


Er lacht über sich selber 


Ohlsdorf - Totentanz



    Nix is! 

    Bled is! 

    Aus is!


BURGTHEATERZWERG






PERSONEN: 


WIRT Hinteregger, Besitzer des Gasthofes in Ohlsdorf 


ANNA seine Nichte, Bedienung im Gasthof 


ALOIS Gelegenheitsarbeiter, die treue Seele 

des verstorbenen Dichters 

 

SPANDOLINI Geistlicher aus Rom, 

ein Geschädigter des Verstorbenen 

 

ADOLFO sein Fahrer aus den Abruzzen 

 

EHEMALIGER MINISTERPRÄSIDENT 

ein Geschädigter aus Deutschland


FRAU DES EHEMALIGEN MINISTERPRÄSIDENTEN 


SCHAUSPIELER ein Geschädigter aus Österreich 


SCHAUSPIELERIN seine Frau 


BURGTHEATERZWERG ein Chronist




Im Gasthaus zu Ohlsdorf


Erste Szene 


Der WIRT Hinteregger steht hinter dem Ausschank und spült Gläser.

An einem Tisch sitzt der Waldarbeiter ALOIS vor einem Krug Bier.

An der Tür, die zum Gesellschaftssaal führt, hängt ein Schild:

»Heute Geschlossene Gesellschaft«

Im Hintergrund läuft leise das Radio.


WIRT: 

Auf den Tag genau 

vor einem Jahr ist er gestorben 


ALOIS: 

Ein vom Schicksal oft heimgesuchter Mensch 

Selbst die Bäume vor seinem Anwesen 

haben ihm keine Freude bereitet 

Absägen habe ich sie müssen 

Bis auf einen sind sie alle befallen gewesen 


WIRT: 

Man sagt 

das Kranke zieht sich an 


ALOIS: 

Wenn man einen Käfer sieht 

ist es schon zu spät 

Er hätte frühzeitig spritzen sollen 

Aber auf mich hat er ja nicht gehört 

Ein Gemütsmensch 

bin ich für ihn gewesen 

Die treue Seele Alois 

treu aber keinen Verstand 

hat er immer gesagt 

Treu aber keinen Verstand 


WIRT: 

In der Zeitung ist gestanden 

er hätte unsere gute Luft nicht vertragen 

Unser Klima sei ausschlaggebend gewesen 

einfach lächerlich 

Nirgendwo im Lande 

gibt es soviel Hundertjährige 

wie hier bei uns 


Die Bedienung ANNA kommt aus der Küche. 


ANNA:

Für wie viel Personen soll ich eindecken?

Servus Alois


ALOIS:

Servus Anna

setz' dich her zu mir


Sie lacht verlegen. 


WIRT(nachdenklich): 

Acht Personen haben sich angemeldet

telefonisch

Das ist gut

Also deck' für zwölf Personen ein

Die Herrschaften aus der Stadt

können es sich leisten


ANNA:

Aber an den Tisch passen doch nur zehn Gedecke


WIRT:

Dann deck' halt für zehn ein

Und hol' einen Mantel aus der Kammer


Die Bedienung geht in den Saal. 


WIRT: 

Ja Alois

so ist das 

Jetzt ist er schon ein Jahr unter der Erde 

aber eine Arbeit macht er einem immer noch 

Allein die Übernachtungen 

sind um das Fünffache gestiegen 

von den Durchreisegästen erst gar nicht zu reden 

Den Gesellschaftsraum 

vermiete ich nur mehr 

an Übernachtungsgäste 

sonst rentiert es sich nicht 

Mit den Durchreisegästen ist kein Geld zu machen 

Ein Bier 

einen Kaffee 

und in Ausnahmefällen ein Essen 

Nein 

nein 

das lohnt nicht 

Und dann diese Camper 

Die Camper sind die allerschlimmsten

Da sitzen sie zu viert 

stundenlang an einem Bier

und bevor sie gehen

füllen sie heimlich

ihre Wasserkanister bei mir auf

Mein Wasserverbrauch ist in letzter Zeit

um das Zehnfache gestiegen

Ich habe es aber dem Bürgermeister gesagt

immer und immer wieder

habe ich es dem Bürgermeister gesagt

Was wir brauchen sind Mautstationen

Auf beiden Seiten von Ohlsdorf 

müssen Mautstationen her


ALOIS:

Machst’ mir noch ein Krügerl Bier 

Hinteregger?


WIRT:

Ist schon recht Alois

das geht auf Kosten des Hauses

wo er dich nicht einmal

in seinem Testament bedacht hat


Aus dem Saal: die Stimme der Bedienung 


ANNA:

Soll ich auch für Suppe eindecken?


WIRT:

Aber selbstredend

wo doch noch soviel

aus der letzten Woche übrig ist


zu ALOIS 


Überhaupt essen Städter gerne Suppe 

Man kann sagen 

dass Städter regelrecht verrückt sind 

auf unsere gute Landsuppe 

In der Stadt bekommen sie ja nirgends 

so eine gute Suppe wie hier draußen 

Städter sind regelrechte Suppenesser 

Umso mehr Suppe am Anfang 

desto weniger greifen sie nach dem Braten 

Bisher habe ich jeden Braten 

zweimal verkaufen können 

Mit Ausnahme der Luxemburger 

Die Luxemburger 

haben den übrig gebliebenen Braten

einfach mitgenommen 

Servietten und Papier haben sie verlangt 

Die Luxemburger haben keinen Anstand 

aber dafür haben sie einen Mantel 

und einen Tisch gekauft 


ALOIS: 

Ja ja 

Suppe hat auch er immer gern gegessen 

Alois 

hat er gesagt 

heute ist mir nach Suppe 

Lass uns zum Hinteregger gehen 

hat er gesagt 

Suppe 

kann man überhaupt nur beim Hinteregger essen 

Nudelsuppe 

zwei Teller Nudelsuppe hat er gegessen 

und sich dabei Notizen gemacht 

Nazis 

Nazis 

hat er gemurmelt 

und sich mit einem Bleistift 

Notizen gemacht 


Er steht auf und geht zum WIRT. 


Auf die Serviette hat er alles geschrieben 

Da schau 


Er holt einen kleinen Bleistift aus der Hosentasche. 

Der WIRT schaut neugierig. 


WIRT:

Ein ganz gewöhnlicher Bleistift


ALOIS:

sein Bleistift


WIRT:

Das bringt mich auf eine Idee


in den Saal rufend 


Anna 

lauf mal schnell in den Laden 

und kauf alle Bleistifte auf 

Alois 

Du bist ein Goldjunge 

Fünfhundert Schilling 

werde ich für einen Bleistift nehmen 

Vierzigtausend Schilling 

für einen Tisch 

Zwanzigtausend 

für den Mantel 

Fünfhundert Schilling 

für den Bleistift 

das ist selbst für Studenten erschwinglich 

Alois 

heut' bist du mein Gast 


Er stellt ihm ein Krügerl Bier hin. 


ALOIS:

Dank' dir schön 

Hinteregger


WIRT:

Schade ist nur

dass du die kranken Bäume

alle schon verheizt hast

Das wäre ein Geschäft geworden

Kleine Scheiben hätte ich geschnitten

sie lackiert

und als Untersetzer verkauft

Des Dichters kranke Bäume

als Bieruntersetzer

das hat was


ANNA kommt mit fünf Lodenmänteln herein und hängt sie an den Garderobenständer. 


WIRT: 

Anna was soll das?

Einen 

habe ich gesagt 

Immer und immer wieder 

habe ich dir gesagt 

Du sollst nur einen Mantel hinhängen 

Was soll ich denn mit fünf Mänteln 

kannst du mir das sagen? 

Dummes Ding 


Sie nimmt vier Mäntel vom Haken und bringt sie wieder zurück in die Kammer. 


WIRT: 

Die bringt es fertig 

und zerstört meine ganzen Geschäfte 

Den Luxemburgern 

hätte sie fast zwei Tische verkauft 

Gott sei Dank 

sind sie schon alle betrunken gewesen 

Dabei habe ich es ihr schon hundert Mal erklärt 

Pro Reisegruppe 

nur ein Tisch und ein Mantel 

aber das kriegt sie nicht in ihren Kopf 


ALOIS geht mit seinem Bier zu dem Tisch an der Tür. 


ALOIS: 

Ja 

ja 

hier hat er immer gesessen 

Hier an der Tür 

war sein Platz 

Beim Essen 

hat er mir von Madrid erzählt 

Nur in Madrid 

hat er gesagt 

nur in Madrid 

habe ich Sehnsucht 

nach dem Hinteregger seiner Nudelsuppe 

In Wien 

hat er gesagt 

in Wien 

habe ich nur einen Heißhunger 

auf dem Hinteregger seinen Rindsbraten 

Aber schon nach zwei Tagen 

hat er gesagt 

schon nach zweimal 

Nudelsuppe und Rindsbraten beim Hinteregger 

kann ich Nudelsuppe und Rindsbraten 

nicht mehr sehen 


WIRT: 

Das hat er niemals gesagt 

Meine Nudelsuppe und meinen Rindsbraten 

hat er immer nur gelobt 


ALOIS: 

Dir 

hat er es nicht gesagt 

mir schon 

Ich bin ja auch sein Vertrauter gewesen 

Mir 

hat er alles anvertraut 

Ausgesprochen 

hat er sich nur mit mir 

Alois 

hat er gesagt 

Du bist ein Gemütsmensch 

mein Beichtvater 

und dabei 

hat er immer gelacht 

Ja 

ja 

er konnte schon lustig sein 

wenn er wollte 


WIRT: 

Ich 

habe ihn nie lachen gesehen 

die ganze Zeit nicht 

Die Menschen 

haben es ja auch nicht 

gut mit ihm gemeint 

Andauernd 

soll er Drohbriefe erhalten haben 

regelrechte Morddrohungen 

sagt man 

Und das alles 

wegen ein paar Theaterstücken 

Die Städter 

sind schon ein verrücktes Volk 

und allen voran 

die Wiener 

Erst hassen sie ihn wie die Pest 

und kaum ist er unter der Erde 

wollen alle seinen Tisch 

und seinen Mantel kaufen 

Die Beerdigung 

soll ja auch recht trostlos gewesen sein 

Für Blumen und Kränze 

haben sie kein Geld 

aber ein Erinnerungsstück 

wollen sie alle haben 

Ein Erinnerungsstück 

vom großen Meister 

kann gar nicht teuer genug sein 

Ich versteh' die Städter nicht 


ALOIS: 

Heimlich 

und in aller Stille 

haben sie ihn beerdigt 

Nur im Kreise 

der Verwandten und Freunde 

so hat es mir der Bruder geschrieben 

und sich für all meine Arbeit bedankt 

Wenn ich einmal in Wien sein sollte 

so hat er geschrieben 

würde er sich selbstverständlich Zeit nehmen 

mir sein Grab zu zeigen 

Die Zeitungen 

wurden erst hinterher informiert 

Die Presse 

hat ja sowieso nur negativ 

über ihn geschrieben 

Regelrecht zum Volksfeind 

haben sie ihn erklärt 


WIRT: 

Den Karajan 

hat man seinerzeit in Salzburg 

auch heimlich verscharren müssen 

Die Salzburger 

haben ein Glück 

erst Mozartstadt 

und jetzt auch noch der Karajan in ihren Reihen 

Wenn der hier gelebt hätte 

ein Geschäft wäre das geworden 

Karajan Semmel 

Würste 

Braten 

Kugeln 

ganze Mehlspeisen 

Frisuren 

Mäntel 

Hosen 

Beim Karajan 

würde mir vieles einfallen 

aber bei so einem unbeliebten Dichter 

wie er einer war 

da bleibt nicht viel 

ein paar Mäntel 

ein paar Tische 

Bin gespannt 

ob die Bleistifte gehen 


Er geht in die Küche. 


ALOIS: 

Ja 

ja 

sein Vertrauter bin ich gewesen 

immer hier 

mit ihm am Tisch gesessen 

Einmal 

als ich ihm nach einem Sturm 

das Dach gerichtet habe 

ist er mit einem Bier gekommen 

und hat gesagt 

Es ist gut 

einen Freund zu haben 

Ja 

ja 

Freund hat er gesagt 

Jetzt ist er tot 

und die anderen 

machen ein Geschäft daraus 

Schlecht sah er aus 

als er das letzte Mal da war 

müde wirkte er 

Dass du mir ja nicht den Garten vernachlässigst 

hat er mir noch zum Abschied gesagt 

Und wenn ich aus Wien zurück bin 

fällen wir beide den letzten Baum vor dem Haus 

Nur wir beide Alois 

hat er noch gesagt 

Jetzt 

hat ihn der eine Baum 

doch noch überlebt 

werde ihn halt allein fällen müssen 

Gott sei Dank 

hat mich der Bruder übernommen 

Den Garten 

halten Sie natürlich weiter in Ordnung 

hat er geschrieben 

Sie mit ihrer grünen Hand 

sind unentbehrlich 

Der Bruder 

auch ein feiner Mensch 


Er nimmt einen kräftigen Schluck. 


Ob ich noch mähen soll? 


Er schaut aus dem Fenster. 


Das Wetter 

es wird wohl umschlagen 

Und morgen 

ist auch noch ein Tag 


Die Bedienung kommt mit einem Karton Bleistifte in die Gaststube. 


ANNA: 

Mein Gott 

ist es schwül draußen 


ALOIS nimmt ihr den Karton ab und stellt ihn auf die Theke. 


Das ist aber lieb von dir Alois 

Soll' ich dir eine frische Halbe machen? 


ALOIS: 

So ist's recht Anna 

Eine Halbe 

ist das rechte Maß 

Der Hinteregger 

der Geizkragen 

lässt höchstens mal ein Krügerl springen 

Obwohl er an meinen Ideen genug verdient 

bin ich ihm nur ein Krügerl wert 

Die Idee mit den Bleistiften 

ist auch von mir 


ANNA : 

Ganz verändert ist der Onkel 

seitdem er tot ist 

Den Zeitungsbericht 

über Ohlsdorfs großen Dichter 

hat der Onkel über sein Bett gehangen 

Ohlsdorfs großer Dichter 

dass ich nicht lache 

Im ganzen Jahr 

hat er höchstens einen Monat 

hier verbracht 


ALOIS: 

Ja ja 

er hat's halt nirgendwo 

lang ausgehalten 

aushalten können 

Immer hat ihm was gefehlt 

In Madrid 

dem Hinteregger seine Nudelsuppe 

Und hier bei uns 

sein spanischer Kaffee 


Die Bedienung gibt ihm das Bier. 


ANNA(leise) : 

Verändert 

hat den Onkel das Fernsehen 

Das Fernsehen 

ist an allem schuld 

Kurz nach seinem Tod 

haben sie im Fernsehen 

ein Theaterstück von ihm gebracht 

und mein Onkel hat's gesehen 

Ich habe mich noch gewundert 

da er sonst doch nie fernsieht 

Ganz allein 

ist der Onkel im Saal gesessen 

regelrecht gespenstisch 

ist das gewesen 

Mit ganz großen Augen 

hat der Onkel unentwegt auf den Fernseher gestarrt 

und dabei immer wieder 

mein Gasthof 

das ist mein Gasthof geschrieen 

Ich bin zu ihm hin 

und hab' ihn beruhigen wollen 

Aber es ist nur schlimmer geworden 

Schau Anna 

schau hin 

Da mein Gasthof 

mein Saal 

Schau Anna 

das bin ich 

das bin ich 

Das soll ich sein 

Danach 

habe ich ihn zwei Tage lang 

nicht gesehen 

Einfach verschwunden war der Onkel

und danach wie ausgewechselt 

Kurze Zeit später 

sind die Lastautos gekommen 

Und jetzt 

steht der ganze Schuppen voller Tische 

und die Kammer quillt vor Mäntel über 

Erst gestern 

hat der Onkel eine Kupferplatte 

in Auftrag gegeben 

mit irgendeiner Inschrift 

die will er draußen an der Tür anbringen 

Aber das Schönste 

kommt erst noch 


Sie schaut sich ängstlich um. 


Heute Morgen

musste ich für ihn

einen Eilbrief aufgeben

an den Landeshauptmann adressiert

Der Onkel verlangt eine Umbenennung

unseres Ortes

Aus Ohlsdorf

will der Onkel Utzbach

oder Butzbach machen

Möchte nur wissen

wer ihm solche Ideen

in den Kopf setzt?

Alois

ich hab' Angst um ihn

Eines Tages

werden sie ihn abholen

und dann steh' ich da

ganz allein


ALOIS:

Hast du denn den Brief aufgegeben?


ANNA:

Wo denkst du hin

Verbrannt habe ich ihn

Aber wenn er keine Antwort bekommt

wer weiß

wem er dann schreibt

vielleicht dem Bundespräsidenten


ALOIS:

Übernehmen wird er sich

der Hinteregger

dein lieber Onkel

Übernehmen

das sage ich dir

Die ganze Geldschacherei

da liegt kein Segen drauf


Aus der Küche 


WIRT:

Anna

wo bleibst du denn so lange?


ANNA:

Ich komm ja schon

ich komm ja schon


Die Bedienung geht in die Küche. 


ALOIS: 

Mir scheint 

jetzt sind sie alle verrückt geworden 

Der Bürgermeister 

will ein Denkmal errichten 

und der Hinteregger 

gar den Ort umbenennen 

Man sollte den Vierkanthof einreißen 

dann wär’ endlich eine Ruh' 

So ähnlich muss es zugegangen sein 

als man in Alaska 

Gold gefunden hat 

Da sind auch alle verrückt geworden 


Der WIRT kommt aus der Küche. 


WIRT: 

Was ich dich noch fragen wollte 

Ich habe gehört 

du hast einen Schlüssel vom Vierkanthof 


ALOIS: 

Aber freilich 

wo ich doch noch den Garten mache 

eine Vertrauensperson bin ich 

das hat auch der Bruder erkannt 

Einmal die Woche 

lüfte ich kurz durch 

und schicke dem Bruder 

die Post nach Wien 

Obwohl er schon ein Jahr tot ist 

der Briefkasten ist jeden Tag voll 


WIRT: 

Nun 

ich hätte da vielleicht 

ein Geschäft für dich 


ALOIS:

Eine Führung durch das Dorf?


WIRT:

Ja

ja

eine Führung

ist sicherlich auch drin

Weißt du

ich bekomme heute

hohe Gäste aus der Stadt

richtige Berühmtheiten

Würdenträger

ein Berater des Papstes

und ein ehemaliger Ministerpräsident

aus Deutschland

sind darunter

Und da habe ich mir gedacht


ALOIS(unterbricht):

Nein nein 

Das schlag' dir aus dem Kopf 

Ich führ' niemanden mehr in den Innenhof 

Beim letzten Mal 

haben sie einfach Blumen gepflückt 

und ich habe den Ärger gehabt 


WIRT: 

Aber Alois 

mein lieber Alois 

wer redet denn vom Innenhof 

ich dachte 

eher an eine Führung 

an eine Hausführung 


ALOIS: 

Durchs Haus soll ich sie führen? 

durchs Haus 

Ja bist du denn wahnsinnig geworden? 

Das kommt überhaupt nicht in Frage 

Eine Vertrauensperson 

hat der Bruder mir geschrieben 

Eine Vertrauensperson 

verstehst du? 

Glaubst du 

ich setz' meine Stellung aufs Spiel? 

Nein 

das schlag' dir aus dem Kopf 


Der WIRT holt eine Flasche und setzt sich zu ihm. 

Er schüttet ALOIS einen Schnaps ein. 


WIRT: 

Die ganze Flasche kannst du haben 

mein bester Obstler 


ALOIS(leckt sich die Lippen): 

Nein


WIRT:

Wo du doch fast zur Familie gehörst


ALOIS:

Nein


WIRT:

Wo du doch bald zur Familie gehören wirst


ALOIS:

Jetzt auf einmal

Erst jagst du mich zum Teufel

weil ich mit der Anna

auf Kirchweih getanzt habe

und jetzt


WIRT(unterbricht):

Alois 

mein lieber Alois 

ein Missverständnis 

alles nur 

ein dummes Missverständnis 


ALOIS: 

Ach Unsinn 

Wer hat mir denn vorgeworfen 

dass ich kein Geld habe? 

Du hast mich doch 

als Erbschleicher beschimpft 

und mich vor all' deinen Gästen 

aus dem Haus geworfen 

Glaubst wohl 

ich hätte das vergessen 


Er versucht aufzustehen, der WIRT hält ihn zurück. 


WIRT: 

Musst mich verstehen 

Alois 

Die Anna 

ist so etwas wie eine Tochter für mich 

bin halt eifersüchtig gewesen 

damals 

Sie ist nun mal 

mein ein und alles 


ALOIS: 

Und darum kann sie wohl auch ackern 

bis sie umfällt 


WIRT: 

Es ist schwer 

eine gute Bedienung zu finden 

Und wo sie doch mal 

alles erben wird 

Warum mach ich denn das alles? 

Damit sie es einmal besser hat 

damit ihr es einmal besser habt 


ALOIS: 

Du bist und bleibst ein Gauner 

Hinteregger 

Ich hätte es wissen müssen 

nicht umsonst hast du mich eingeladen 


Und deine Nichte 

willst du auch verschachern 

Pfui Teufel 

Hinteregger 


Er steht auf. 


Pfui Teufel 

Die treue Seele Alois 

hat er gesagt 

Eine Vertrauensperson 

hat sein Bruder geschrieben 

Den einzigen Freund 

den ich habe 

hat er gesagt 

und daran halt' ich mich 

Hinteregger 

Damit du es weißt 

Mit Geld 

kannst du mir nicht kommen 

Servus Hinteregger 


Er verlässt die Gaststube. 


WIRT: 

Na warte 

Bürschchen 

dich krieg' ich auch noch 

wäre doch gelacht 


Er steht auf und geht in die Küche. 


Aus der Küche 


Anna Anna 

komm her 

ich muss mit dir reden 


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