PERSONEN:
RENE Allermann, Erfolgsautor
RUTH Allermann, seine Frau
GEORG, sein Manager und Agent
CHRISTINE, eine junge Schauspielerin
STIMME
Anmerkung zum Text:
Christine - französisch ausgesprochen
Christine - deutsch ausgesprochen
Eine luxuriöse Hotelsuite
Prolog
Aus dem OFF eine STIMME.
STIMME:
Warum sind Sie wiedergekommen?
RENE:
Ja
ich liebe sie
die Toskana
Viel mehr noch
ich brauche sie
Aber dennoch ist es von Nöten
von Zeit zu Zeit
die Örtlichkeiten
zu wechseln
STIMME:
Und wieso kommen Sie erst jetzt?
RENE:
Die Frage ist falsch gestellt
Denn eigentlich
war ich nie fort
Wie viele Menschen leben hier?
leben hier
in ihren Träumen
in denen sie
ferne Länder bereisen
oder gar
mit dem Gedanken spielen
auszuwandern
Ich dagegen
habe diese Stadt
nie verlassen
Meine Helden
Wie oft schritten sie nachts
einsam und verlassen
über den Michaelaplatz
oder an der alten Donau entlang?
STIMME:
Wie oft saßen Sie in Cafés?
Wohnten in schmierigen Pensionen
oder kamen über Vororte nicht hinaus?
RENE:
Nun
die Vergangenheit
ist abgegrast
Es ist an der Zeit
dass ich mich
der Gegenwart widme
STIMME:
Dann werden Sie auch
Christine
wieder sehen?
RENE:
Christine bitte
Sie heißt Christine
und nicht Christine
Verstehen Sie den Unterschied?
Was für Welten liegen
zwischen Christine
und Christine
STIMME:
Nun
werden Sie Christine wieder sehen?
RENE:
Ich bin zurückgekommen
um die Vergangenheit
gegen ein jetzt einzutauschen
Und Christine?
Ich weiß noch nicht einmal
wo sie wohnt
Wissen Sie es?
Ich meine
alles hat doch seinen Platz
Erste Szene
GEORG und RUTH betreten das Zimmer.
GEORG:
Er muss verrückt geworden sein
anders kann ich es mir nicht erklären
verrückt
einfach verrückt
RUTH:
So beruhige dich
Versuche ihn zu verstehen
Er war doch so lange nicht mehr hier
GEORG:
Was hat das denn damit zu tun?
Auf der ganzen Welt
sind wir gewesen
Die Klatschkolumnisten Hollywoods
die Pariser Kritiker
Alle hat er gemeistert
nur in der eigenen Stadt
dreht er durch
RUTH:
Jetzt setz dich doch
Ich mache uns erst mal einen Drink
und um Gottes Willen
beruhige dich
Du wirst sehen
der Whisky
wird dir gut tun
GEORG:
Leck mich am Arsch
mit deiner mütterlichen Philosophie
Wie viele Drinks
hast du ihm denn gemixt?
Nüchtern
kann doch einer allein
nicht soviel Scheiße bauen
RUTH:
Ach so ist das
Jetzt soll ich auf einmal
Schuld haben
Das ist mal wieder
typisch für dich
Also
darf ich dich vielleicht
an eine Kleinigkeit erinnern?
dass du
seine Reden schreibst
GEORG:
Was nützen die schönsten Reden
wenn er sich nicht daran hält
RUTH stellt ihm einen Drink hin.
RUTH:
So
jetzt trink erst mal
Schau
du siehst das alles
zu schwarz
Uns geht es doch gut
René
ist einer der bekanntesten
und bestbezahlten
Autoren
Was kann da so
ein kleiner Fauxpas
schon ausrichten?
Ich meine
ist es nicht ganz natürlich
dass man nach so vielen Jahren
jemanden wieder sehen will?
GEORG:
Das ist mir schon klar
dass das deinen geistigen Horizont
überschreitet
Wir leben von diesem jemanden
RUTH:
So kannst du mit mir nicht reden
GEORG:
Ich kann noch ganz anders
Er entfernt sich.
RUTH:
Wohin gehst du?
GEORG:
Wenn René kommt
ich bin auf meinem Zimmer
Er verlässt das Zimmer.
Sie geht zur Bar nimmt sich ein Glas und eine Flasche,
dabei weint sie leise.
Zweite Szene
RENE betritt das Zimmer.
RUTH weint, vor ihr steht eine fast leere Flasche.
RENE:
Weißt du eigentlich
dass du unheimlich schön aussiehst
wenn du weinst
Das hat so was
imaginäres
Wie war ich?
RUTH:
Gut
aber
RENE:
Ich weiß schon
auf was du
hinaus willst
Es war mir ein inneres Bedürfnis
und außerdem
Ich wollte euch überraschen
Eifersüchtig?
RUTH:
Mache ich den Eindruck?
RENE:
Ich fühle mich richtig wohl
und Christine
das ist schon gar nicht mehr wahr
RUTH:
Warum belügst du dich selber?
Christine
ist immer wahr
und wird es auch immer bleiben
Bis das der Tod euch scheidet
RUTH beginnt hysterisch zu lachen
RENE:
Gut
dass es dir wieder besser geht
Ich werde mich ein wenig hinlegen
Und heute Abend
Ruth
auf dem Empfang
werden wir tanzen
Ruth
nur wir beide
Freust du dich?
Dabei tanzt er im Walzertakt in das Nebenzimmer.
RUTH:
Du sollst Georg anrufen
er ist auf seinem Zimmer
Dritte Szene
GEORG telefoniert und zieht sich dabei aus.
GEORG:
Ja
Wolfgang
ja
wir haben uns jahrelang
nicht gesehen
Ja
Wolfgang
Hast du es auch gesehen
ja
deswegen rufe ich an
Vielleicht in der Bar heute Abend
Ja
wir reden auch
über Frauen und Fußball
Kannst du mir einen Gefallen tun?
Ja
wir reden auch
über Frauen und Fußball
ich verspreche es dir
Pass auf
Ich brauche eine
deiner mittelmäßig
begabten Schauspielerinnen
Ja
das war ein Scherz
Nein
das war keiner
Ich schicke dir gleich ein Foto
Ja
über das Finanzielle
reden wir heute Abend
Ja
wir reden auch über Frauen
Also
ich muss Schluss machen
Servus derweil
Baba
Er legt auf.
Arschloch
Vierte Szene
RUTH blättert in einer Illustrierten. RENE kommt aus dem Nebenzimmer.
RENE:
Wo ist Georg?
RUTH:
Drüben
RENE:
Hat er zu tun?
RUTH.
Er telefoniert
RENE:
Willst du was trinken?
RUTH:
Mhm
RENE:
Was liest du?
RUTH:
Ich denke
du bist müde
und schläfst
RENE:
Diese Hotelzimmer
RUTH:
Du wolltest mir doch etwas einschenken
RENE:
Die Duschen sind wie
Ich sollte mal etwas
über Hotels machen
Die Leute machen sich
ganz falsche Vorstellungen
Und in Filmen
sind es
falsche Einstellungen
Alles wirkt groß und elegant
Aber wie beschreibt man
Unpersönlichkeit?
Und was versteht
das Management
unter Gastlichkeit?
Beruhigend
ist da nur
die schöne Aussicht
Ja
wir haben wirklich
eine schöne Aussicht
Die Dächer von Wien
sind schon etwas besonderes
Auch darüber
sollte ich einmal schreiben
Die Dächer von Wien
Ja
die Dächer von Wien
Die Ortung
der Wiener Dächer
Ziegel um Ziegel
Wäre das Bett
bloß nicht so groß
RUTH ist inzwischen von hinten an RENE herangetreten.
Sie umarmt ihn und öffnet ihm das Hemd.
Plötzlich macht RENE sich frei.
RENE:
Ich weiß etwas Besseres
Fünfte Szene
GEORG betritt das Zimmer.
GEORG:
Rene?
Ruth?
Er geht durch das Zimmer. Als er merkt, dass er alleine ist, nimmt er lustlos ein Hochglanzmagazin und liest laut eine Liebesgeschichte vor.
Nach einer Weile klingelt das Telefon.
GEORG nimmt den Hörer ab.
GEORG:
Ja hier 214
Wir haben nichts bestellt
Wenn ich Ihnen doch sage
Hören Sie
Da wird sich jemand
einen Scherz
erlaubt haben
Was gehen mich Ihre Kosten an
Er legt auf und liest weiter in der Zeitschrift.
Hinkend betritt RUTH das Zimmer.
GEORG:
Wo kommst du denn her?
RUTH:
Gut
dass du da bist
René ist weg
GEORG:
Wie weg?
RUTH befreit sich von ihren Schuhen und massiert sich
die Füße.
RUTH:
Wir wollten Essen gehen
Diese Schuhe
Ich habe mich umgezogen
Meine Füße
Als ich fertig war
war er weg
GEORG:
Was machte er denn
für einen Eindruck
auf dich?
RUTH:
Wie immer
Nein
warte
Eigentlich war er wie früher
Kannst du dich noch
an unsere Hochzeitsreise erinnern?
GEORG:
Du meinst wohl eure
RUTH:
Wie er alle Plätze
im größten Cafe
am Markusplatz
reserviert hat
GEORG:
Dann hat er also
das Essen bestellt
RUTH:
Woher weißt du?
GEORG:
Die Hoteldirektion hat sich erlaubt
diesen kleinen Scherz
auf unsere Rechnung zu setzen
RUTH:
Er war wie früher
GEORG:
Jetzt setz dich
und hör mir genau zu
Also
In ungefähr zwei Stunden
wird hier
eine junge Schauspielerin
auftauchen
die sich als Christine
ausgeben wird
Und wir werden so tun als ob
RUTH:
Aber René wird doch nicht so dumm sein
und
GEORG:
Er wird
verlass dich darauf
Und du meine Liebe
wirst so tun
als wäre es die Echte
Verstehst du?
für dich und für mich
ist sie die echte Christine
Ich habe Bilder von ihr gesehen
die Ähnlichkeit ist verblüffend
Wieder geht das Telefon. RUTH geht an den Apparat.
RUTH:
Ja
hier 214
Für dich Georg
der Veranstalter
GEORG nimmt das Telefon.
GEORG:
Schön
dass Sie anrufen
Richten Sie es so ein
dass wir noch
einen kleinen Fototermin
dazwischen schieben können
Ja
Christine
ist gefunden
Und das wollen wir natürlich
der Öffentlichkeit
nicht vorenthalten
Danke
Servus
RUTH:
Und wenn die richtige Christine
das mitbekommt
die wird doch
GEORG:
Nichts wird sie
Ich habe mir das genau überlegt
Wenn die richtige Christine
morgen die Zeitung liest
wird sie
ihren René
mit einer anderen Frau sehen
Sie wird denken
dass er sie nie gemeint hat
So einfach ist das
RUTH schaut ihn entfremdet an.
GEORG:
Du brauchst gar nicht so zu schauen
Was ist denn los?
RUTH:
Du hast wohl überhaupt keine Skrupel
GEORG:
Jetzt komm mir nicht so
Es hat dich doch sonst nie interessiert
Für wen tue ich denn
das alles?
Sag mir
für wen tue ich denn
das alles?
RUTH:
Du
tust es für dich
Georg
für dich
Café Landsmann
Der Tierpräparator
PERSONEN:
RUDOLF Tierpräparator
MARION Jugendliebe
NIEKISCH Nachbarin
Das Stück spielt in der heutigen Zeit, in einer Altbauwohnung.
Ein großes Zimmer.
Zentraler Punkt: ein altes Karussell, das in drei Segmente eingeteilt ist.
1.Segment: Am See (Gebirgslandschaft, ein künstlicher See mit Schilf, einem ausgestopften Schwan und einem Boot)
2.Segment: Krankenhaus
3.Segment: Hochzeitszimmer (ein Doppelbett mit Nachttisch etc. alles wie neu eingepackt)
Mitten im Raum steht ein Arbeitstisch mit Utensilien.
In einer Ecke ein Feldbett, daneben ein kleiner Kocher, ein großer Schrank.
Auf der einen Seite eine Schiebetür, die offen steht und damit einen Blick in den Flur gewährt, in dem mehrere
Tierpräparationen stehen.
Parallel die Korridortür mit Briefschlitz.
Die Wände im Zimmer sind notdürftig gestrichen.
Der Durchbruch ist in Umrissen (wie das Karussell)noch zu erkennen.
Neben dem Karussell: das Schaltpult mit einem Plattenspieler (aus den fünfziger Jahren).
Über dem Karussell eine große Lichterkette.
Auf der anderen Seite: eine normale Tür, an der Postkarten aus aller Welt hängen.
Jedes Mal, wenn MARION erscheint, ist sie anders gekleidet.
Erste Szene
RUDOLF sitzt am Tisch und arbeitet an einer elektronischen Schaltanlage. Immer wieder macht er Pausen, sichtlich
kann er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren.
Auf dem Stuhl gegenüber - mit dem Rücken zum Publikum - sitzt eine Frau.
Auf dem Tisch ein großes Telefon.
RUDOLF:
Wir hätten das nicht einführen sollen
es ist ein Fehler gewesen
ein großer Fehler
Den ganzen Tag schon
bin ich unkonzentriert
nervös
Seit über einer Stunde
sitze ich hier
und gebe eine lächerliche Figur ab
Was soll ich ihr bloß erzählen
wenn sie anruft?
nach einer Weile
Ich könnte ihr erzählen
was ich heute gemacht habe
Sie würde es nicht verstehen
nicht wahr
Anna?
Sie interessiert sich nicht für uns
Dich hat sie von Anfang an ignoriert
Und zu unserer Hochzeit
weißt du noch?
er lacht
Der Brief
ihr Brief
mit keiner Silbe
hat sie dich erwähnt
Kein Glückwunsch
nichts
Sie ist von jeher
eine schlechte Verliererin gewesen
Ja
so hat wohl jeder seine Schwächen
Einsam fühl' ich mich
einsam
wie jeden Donnerstag
Weißt du Anna
das Warten und diese Unkonzentriertheit
An Donnerstagen
fällt es mir schwer
über den Tag zu kommen
Von Donnerstag zu Donnerstag
fällt es mir immer schwerer
über den Tag zu kommen
Der Donnerstag
ist der längste Tag der Woche
nur an Donnerstagen
bin ich so unkonzentriert
Nein
nein
wir hätten es nicht einführen sollen
es ist ein Fehler gewesen
Den ganzen Tag
habe ich auf ihren Anruf gewartet
Heute morgen
als der Wecker geklingelt hat
habe ich gedacht
es wäre das Telefon
Zehn Minuten lang
habe ich den Hörer
in den Händen gehalten
und HALLO
HALLO
Hinein geschrieen
immerzu
ein HALLO
HALLO
Ich bin ein Narr
Anna
ein Narr
Einen alten Narren
hat das Warten
aus mir gemacht
Dabei sagt man doch
im Alter
gehen die Uhren anders
schneller
Sagt man nicht
im Alter
verginge die Zeit
wie im Fluge?
Ein völliger Blödsinn
Die das sagen
haben doch überhaupt keine Ahnung
kennen keine Donnerstage
haben solche Donnerstage
nie erlebt
Was ich heute gemacht habe
willst du wissen?
Nun
nach dem Frühstück
und dem Studieren der Zeitung
habe ich den Schrank geöffnet
und deine Kleider
an die frische Luft gehängt
Es wird Frühling Anna
und da ist es Zeit
die Kleider
an die frische Luft zu hängen
Die Niekisch
ist natürlich
wieder am Fenster gestanden
und hat geschaut
dumm
hat sie geschaut
Ja
Ja
die Niekisch aus dem Zweiten
die hat es gerade nötig
dumm zu schauen
wo ihr doch der Mann abgehauen ist
Man sagt
der Niekisch hätte sich abgesetzt
Er soll in die Kasse
seiner Firma gegriffen haben
der Niekisch
dabei hat die kurz vor dem Konkurs gestanden
Jetzt soll er auf eines Insel leben
mit so einem jungen Ding
Kannst du dir das vorstellen
Anna?
Der Niekisch und so ein junges Ding
einfach lächerlich
Im Haus spricht man davon
dass er seiner Frau
einen Brief hinterlassen hat
in dem soll gestanden haben
dass sie ihm halt nicht böse sein soll
und dass er nun endlich seinen Jugendtraum
verwirklichen könne
Einfach lächerlich
das Ganze
wo doch der Niekisch
auch schon weit über sechzig ist
Ein Jahr
und er wäre in Rente gegangen
Der Alten
geschieht es ganz recht
ich habe sie nie leiden können
Er setzt sich wieder.
Nein
nein
das mit deinen Kleidern
werde ich ihr nicht erzählen
Du weißt ja
wie sie ist
Am Ende
hält sie mich für sentimental
oder gar für senil
Nein
nein
das mit dem Kleiderschrank
werde ich ihr unterschlagen
das geht sie nichts an
Aber die Geschichte
von der Niekisch
die könnte ich ihr erzählen
die ist amüsant
Er nimmt den Telefonhörer ab.
mit unsicherer Stimme
Guten Abend
Marion
Schön
dass du anrufst
Er legt wieder auf.
An Donnerstagen
sollte ich mehr hinausgehen
sollte mich auf Gespräche einlassen
damit ich in Übung bleibe
An Donnerstagen
verspüre ich immer so ein Kratzen im Hals
und so eine Beklemmung
in der Brustkorbgegend
von den Schluckbeschwerden
erst gar nicht zu reden
Immer nur
an Donnerstagen
immer dann
wenn sie anruft
habe ich diesen dicken Kloß im Hals
Abermals nimmt er den Hörer ab.
Guten Abend
Er hüstelt und legt wieder auf.
Auf keinen Fall
werde ich wegen dieser Geschichte
einen Arzt aufsuchen
Ein Arztbesuch
kommt für mich
überhaupt nicht in Frage
Ich gehöre nicht zu den Menschen
denen die Decke
auf den Kopf fällt
die nicht wissen
was sie tun sollen
und nur aus purer Bosheit und Langeweile
einen Arzt aufsuchen
Ich sehe' sie schon vor mir
diese alten verbitterten Frauen
mit Wasser in den Beinen
wie sie warten
und jede Gelegenheit
sofort nutzen
um ein Gespräch anzufangen
Erst letzte Woche
auf dem Friedhof
hat man mir aufgelauert
Freundlich
treten sie an einen heran
mit der Bitte
um die Gießkanne
Aber die Gießkanne
ist ja nur der Anfang
dann kommt das Schüppchen
die Harke
und zu guter Letzt
eine Einladung zum Kaffee
Alten Frauen
muss man aus dem Weg gehen
sonst ist man hoffnungslos verloren
Die Witwen
sind die allerschlimmsten
Ich habe den Eindruck
dass es ihnen nicht ausreicht
nur einen Mann
unter die Erde gebracht zu haben
Er schaut auf seine Uhr.
Zwei Stunden
habe ich noch Zeit
In zwei Stunden
beginnt erst der Spartarif
Marion ist geizig
von jeher
Nein
nein
vorher ruft sie nicht an
Obwohl ich weiß
dass sie erst gegen Abend anrufen wird
bin ich schon den ganzen Tag über nervös
schrecke bei jedem Geräusch auf
RUDOLF steht auf und schüttet sich ein Glas Wein ein.
Marion
ist als Kind schon sparsam gewesen
das Ökonomische
vom Vater geerbt
Ich werde nie vergessen
wie sie mich hat stehen lassen
wegen einer großen Tafel Schokolade
Sie ist von jeher
ein Karrieremensch gewesen
In der Schule schon
hat sie gegen einen hohen Zins
Geld verliehen
Marion
ist als Karrierefrau
einfach wie geschaffen
Drei Riegel Kokosschokolade
hatte ich ihr gekauft
weil sie Kokosschokolade
so gern gemocht habe
Sie aber
hat sich für den Jungen
aus der Oberschule entschieden
Wegen einer dreihundert Gramm Tafel
Vollmilchschokolade
hat sie mich einfach
stehen gelassen
RUDOLF nimmt einen kräftigen Schluck.
Gott sei dank
bin ich nicht nachtragend
nicht wahr
Anna?
Nachtragend
bin ich nie gewesen
Er geht zum Tisch und nimmt die elektronische Schaltanlage in die Hand.
Ich glaube
dafür ist noch Zeit
Er geht zu dem Schaltpult herüber und baut das neue Teil ein. Die bunte Lichterkette geht an. Dann entfernt er eine der
Planen, die das Karussell abdecken. Eine malerische Gebirgslandschaft wird sichtbar. Davor auf einem künstlichen
See ein Boot, mit dazugehörigem Schilf und einem ausgestopften Schwan.
Jetzt kommst du an die Reihe
Anna
Er geht zum Stuhl und nimmt sie in die Arme.
Erst jetzt ist zu sehen, dass es sich bei Anna um eine Puppe handelt.
RUDOLF setzt sie in das Boot.
So Anna
halt dich gut fest
gleich geht es wieder rund
Er verschwindet hinter dem großen Schaltpult und betätigt einige Knöpfe.
Musik ertönt, langsam setzt sich das Karussell in Bewegung.
Anna
es funktioniert
Es dreht sich Anna
es dreht sich
Mein Gott
es funktioniert
ohne dass eine Sicherung herausspringt
Er springt auf die Plattform.
RUDOLF(singend):
ein weißer Schwan
ziehet den Kahn
mit der schönen Fischerin
auf den blauen See dahin
Im Abendrot
schlingert das Boot...
Er springt wieder ab.
So Anna
jetzt halt dich gut fest
Ich probiere das neue Relais aus
Am großen Schaltpult drückt RUDOLF einen Knopf. Plötzlich flackert das Licht. Die Musik und das Karussell werden
immer schneller, was zur Folge hat, dass erst die Arme und dann der Kopf sich von der Puppe lösen und mit voller
Wucht in das Zimmer geschleudert werden.
RUDOLF hält das Karussell an. Betroffen macht er sich daran, die im ganzen Raum verstreuten Teile der Puppe
aufzuheben.
Er bringt sie zu seinem Tisch, nimmt sich Nähzeug und versucht einen Arm wieder anzunähen.
Nach einer Weile macht er eine Pause und schaut auf das Telefon.
RUDOLF:
Immerhin
hatte ich damals die Möglichkeit
sie zu heiraten
Lang ist das her
Sie wollte unbedingt
meine Frau werden
Er näht weiter.
Wir sind derselbe Jahrgang
Ein paar Monate
bin ich nur älter
Bei diesen Arbeiten ist das Garn
das alles Entscheidende
Auf das Garn und die Stiche
muss besondern Wert gelegt werden
sonst wird es keine präzise Arbeit
Das Zusammensetzen
der einzelnen Stücke
die Naht
all das verlangt
eine Genauigkeit ohnegleichen
Wenn die Stiche nicht stimmen
ist die ganze Arbeit umsonst
Oft werden die Tiere
in einem so schlechten Zustand angeliefert
dass es einem Kunstwerk gleichkommt
sie wieder so herzurichten
dass sie lebensecht wirken
Ich hatte mal einen Mitarbeiter
der doch tatsächlich
einem Vulpes zerda
den zwanzig Zentimeter langen Schwanz
mit einem Kreuzstich angenäht hat
Unglaublich
unglaublich
Gott sei dank
ist er später
in die Spielzeugindustrie abgewandert
Kann man sich bei Tieren
ein oder zwei
kleinere Fehler erlauben
so ist dies
bei einer menschlichen Präparation
völlig ausgeschlossen
Die Präparation
ist eine künstlerische Arbeit
die einem alles
aber auch wirklich alles
abverlangt
die wenigsten begreifen das
RUDOLF zieht an dem Arm, um festzustellen ob er hält.
Er legt die Puppe beiseite.
So den einen hätten wir
Langsam könnte sie wirklich anrufen
sie ist längst überfällig
Ein richtig kleiner Trotzkopf
ist sie gewesen
Anna war schweigsamer
bescheidener
nicht so machthungrig
wie sie
RUDOLF nimmt den Hörer ab und sagt mehrere Male: »Guten Abend«, jedes Mal in einer anderen Betonung.
Wir hätten es
bei den Briefen belassen sollen
Briefe
sind persönlicher
und nicht so direkt
wie ein Telefonat
Man kann sich Zeit lassen
bevor man auf eine Frage antwortet
Und diese Fragen
diese immer gleichen Fragen
Warst du heute spazieren?
Was hast du gegessen?
Was macht die Gesundheit?
Wie ist das Wetter?
Und
und
und
Fragen
nichts als Fragen
Und da Marion
auf Sparsamkeit
bedacht ist
muss ich immer sofort antworten
nach einer Weile
Was mache ich da?
Ich blockiere die Leitung
Schnell legt er den Hörer auf.
Für mindestens fünf Minuten
habe ich jetzt die Leitung blockiert
Hoffentlich
hat sie nicht gerade jetzt
in diesen fünf Minuten
angerufen
Ach was rege ich mich auf
Sie wird es noch einmal versuchen
Sie wird bestimmt
noch einmal anrufen
dafür kenne ich Marion
einfach zu gut
Der Abend ist ja noch lang
Er nimmt den anderen Arm und beginnt auch ihn wieder anzunähen.
Marion hat Ehrgeiz
das nötige Durchsetzungsvermögen
Ein typischer Frauen Dickschädel
Da ist sie anders
als meine Anna
Anna
hätte vor Wut
den Hörer auf die Gabel geworfen
und nie mehr angerufen
So war sie in allen Dingen
meine Anna
Beim ersten Scheitern
schon im Versuch
hat sie aufgegeben
Ein regelrechter Innenmensch
war sie
Mich hat sie gebraucht
um Leben zu können
Meine Anna
war bescheiden
zu bescheiden
Er schaut auf die Uhr.
Jetzt hat sie immer noch nicht angerufen
Marion ist ein Außenmensch
überall muss sie dabei sein
Sie ist schon immer ruhelos gewesen
ruhelos
aber dennoch zielstrebig
Immer neue Ziele
immer neue Herausforderungen
Sie hat bestimmt oft
die Wohnung gewechselt
Mit jedem beruflichen Weiterkommen
eine neue Wohnung
Mit Anna
wäre das nicht möglich gewesen
Einen Umzug
hätte sie allein seelisch
nicht verkraftet
In den ganzen vierzig Jahren
unserer Ehe
hat keines der Möbelstücke
seinen Platz gewechselt
Vierzig Jahre
lebe ich nun hier
hier in dieser Wohnung
in diesen Wänden
Wenn die Maler gekommen sind
ist jedes Möbel
am Boden angezeichnet worden
damit es nachher
auch ja wieder an seinen Platz kommt
Alles muss seinen Platz haben
alles eine Ordnung
Ja
so war sie
die Anna
Der Liebe Gott und die Ordnung
Der Liebe Gott und die Ordnung
dies waren die Stützen
ihres Lebens
Er probiert aus, ob auch der zweite Arm hält und legt dann die Puppe beiseite.
Nach einer Weile hebt er erneut den Hörer ab.
Mehr als dreimal
werde ich es nicht läuten lassen
Dreimal
so wie es sich gehört
Er wählt mehrere Nummern.
Eins
zwei
drei
Wenn ich nur wüsste
wo ihr Telefon steht
sieben
acht
neun
Sie hat bestimmt eine große Wohnung
mit vielen Zimmern
dreizehn
vierzehn
fünfzehn
Vielleicht ist sie gerade auf Toilette
oder sie badet
neunzehn
zwanzig
einundzwanzig
Ich könnte mich verwählt haben
Bei so einer langen Nummer
kann das leicht passieren
RUDOLF wartet für einen Moment bevor er die Gabel drückt, dann wählt er erneut.
Eins
zwei
drei
Hoffentlich
ist ihr nichts passiert
In der Zeitung
ist einmal eine Geschichte
von einer Frau gestanden
die man erst
drei Monate später
entdeckt hat
Nackt
auf den Fliesen ihres Badezimmers
Wahrscheinlich ausgerutscht
Schlüsselbeinbruch
unfähig sich zu bewegen
Sie ist einfach verhungert
auf die erbärmlichste Weise verreckt
Das Alleinsein
es hat schon seinen Preis
Er legt auf.
Wer allein lebt
der muss auf der Hut sein
Die Gesundheit
ist das wichtigste
man hat ja niemanden
im Zweifelsfalle
im Krankheitsfalle
der einen pflegen kann
Wie viel Magendurchbrüche
leichte Herzattacken
Darmverschlingungen
Nierenkoliken
werden erst viel später
halbverwest
in ihren Wohnungen gefunden
Ekelhafte Geschichten
die in letzter Zeit
immer häufiger auftreten
Kein Tag vergeht
wo so etwas
nicht in der Zeitung steht
Es gibt fast nur noch Außenmenschen
Man lebt nur nach außen
und innen verkümmert man
bekommt Magengeschwüre
fault aus
Hoffentlich
ist ihr nichts passiert
Gerade jetzt
Meinen ganzen Zeitplan
wirft sie durcheinander
Als ob ich nichts Besseres
zu tun hätte
als auf ihren Anruf zu warten
RUDOLF öffnet eine Hutschachtel in der sich mehrere Perücken befinden, er holt eine blonde Perücke heraus und
tauscht sie gegen die alte von der Puppe aus. Er schraubt den Kopf an die Puppe.
Du bist schön
Anna
Blond
steht dir ausgezeichnet
Du musst zugeben
das mit den blonden Haaren
war eine gute Idee
von mir
Du hast zwar jetzt etwas
an Sinnlichkeit verloren
aber die jugendliche Frische
wiegt das auf
MARION erscheint im Zimmer. Sie beobachtet RUDOLF bei seiner Arbeit, er kann sie nicht wahrnehmen.
RUDOLF hält den Kopf mit beiden Händen.
RUDOLF:
Sei mir nicht böse
Anna
aber irgendetwas
irritiert mich
Die Augen
Anna
Die Augen
Es sind nicht deine
Verzeih Anna
aber es sind nicht
deine Augen
Die Augenpartie
ist mir nicht gelungen
Ohne Zweifel
es sind schöne Augen
aber sie passen nicht
Nein
nein
die Augenpartie
ist mir nicht gelungen
Die Augen sind der Grund
Mit diesen Augen
bist du nicht
meine Anna
verzeih die harten Worte
aber mit diesen Augen
bist du eine Fremde
für mich
Ja
eine Fremde
Wenn ich nur wüsste
zu wem
diese Augen gehören?
Ich muss sie schon einmal gesehen haben
Dieses Funkeln
in den Augen
diese kleinen zwei Flämmchen
kommen mir so vertraut vor
Mit einem geschickten Handgriff holt er beide Augen heraus und steckt sie in seine Tasche.
So
jetzt bist du wieder meine Anna
Morgen bekommst du andere Augen
eine vollkommen neue Augenpartie
werde ich dir machen
Morgen Anna
Morgen ist auch noch ein Tag
Nicht wahr Anna?
Das hast du doch auch immer gesagt
Morgen ist auch noch ein Tag
Er legt die Puppe beiseite und starrt auf das Telefon.
Dass sie nicht anruft
Bestimmt ist ihr etwas zugestoßen
Ich sitze hier in einer anderen Stadt
und weit ab
stirbt ein Mensch
auf die erbärmlichste Weise
Ein Mensch stirbt
und allen scheint das
vollkommen egal zu sein
Wahrscheinlich liegt sie röchelnd
im Badezimmer
und versucht mit geschwächter Stimme
um Hilfe zu rufen
Aber niemand hört sie
Vielleicht flüstert sie in ihrer Todesangst
schon meinen Namen
Rudolf
Rudolf
Wollte sie mich nicht besuchen?
Hatte sie nicht erst
bei unserem letzten Telefonat
davon gesprochen?
Ich blöder Hund
hätte ich doch nur
ja gesagt
Dann würde sie jetzt nicht im Badezimmer liegen
und vergebens um Hilfe schreien
Die Nachbarn werden denken
der Fernseher läuft
Wer weiß
was sie für Nachbarn hat
Die Niekisch
aus dem Zweiten
würde mich glatt verrecken lassen
die könnte dabei stehen
nichts würde die tun
Marion darf noch nicht sterben
Mein Entschluss steht fest
Ich fahre
würde mir das sonst nie verzeihen
In den ganzen Jahren ‑
einmal nur in Urlaub gewesen
Im Schwarzwald
im schönen Glottertal
Am Schluchsee sind wir gewesen
dabei wollte Anna
partout an den Bodensee
Den ganzen Urlaub
hat sie mir verdorben
mit ihrem ewigen Gequengle
Dabei waren am Bodensee
überhaupt keine Zimmer
mehr zu bekommen
Alles ausgebucht
aber das hat sie nicht interessiert
Sie wollte unbedingt zum Bodensee
Wenn ich so recht überlege
war das gar nicht ihre Art
so auf eine Sache zu bestehen
ja sich regelrecht
zu versteifen
Nein
das war nicht ihre Art
Vielleicht werfe ich da
was durcheinander
ist ja auch schon so lange her
Auf jeden Fall
richtig herausgekommen
sind wir nie
die ganzen Jahre nicht
Sein Blick fällt auf die Puppe.
Die Augenpartie
wollte ich doch ändern
Die Augen
sind die charakteristischsten Merkmale
einer guten Präparation
Die Augen
sind das wichtigste
überhaupt
Die Augen
werden von jeher
von den Präparatoren unterschätzt
Jeder weiß
dass ich immer besonderen Wert
auf die Augen gelegt habe
Die Augen
sind das wichtigste
nicht wahr Anna?
Habe ich das nicht immer gesagt?
RUDOLF nimmt die Puppe und trägt sie vorsichtig zu dem Boot.
Es tut mir leid Anna
aber die Augen müssen warten
Sag nichts
ich weiß
ich weiß
Es hat Komplikationen gegeben
etwas Unvorhergesehenes
ist eingetreten
Er setzt sie in das Boot.
Ich werde für ein paar Tage verreisen
Ja
ich werde dich
für ein paar Tage alleinlassen müssen
Jetzt schau' nicht so
Es ist ein Notfall
glaub mir
Wenn es kein Notfall wäre
ich würde dich nicht alleinlassen
Aber so
Marion braucht Hilfe
und da ist es meine Pflicht
Er deckt das Segment mit der Plane ab.
Den kleinen Koffer werde ich nehmen
den ich seinerzeit Anna
für ihren Krankenhausaufenthalt
gekauft habe
Der Koffer ist ja so gut wie neu
Er sucht in dem Zimmer nach dem Koffer.
Wo habe ich ihn bloß verstaut?
Er öffnet einen Schrank, in dem sich mehrere Tierpräparationen befinden, darunter auch viele Einzelteile und ein Koffer.
Vorsichtig holt er den Koffer heraus, so als ob es sich dabei um eine Kostbarkeit handeln würde.
Und dann
stand ich da
eine schlaflose Nacht hinter mir
in dem weißen kalten Flur des Krankenhauses
mit dem kleinen Koffer in der Hand
Verloren
verfroren
Allein stand ich da
mutterseelenallein
Sie muss höllische Schmerzen gehabt haben
Aber sie hat still gehalten
kein Klagen und kein Wimmern
Niemandem
wollte sie zur Last fallen
Abgefunden
hatte sie sich mit ihrem Schicksal
Der Liebe Gott weiß schon
was er tut
das waren immer wieder ihre Worte
Selbst unter den höllischsten Schmerzen
sprach sie noch
von einem Lieben Gott
Sie hätte sich gegen ihre Krankheit
wehren sollen
dann wäre sie mit Bestimmtheit
heute noch am Leben
Wer sein Leben ausschließlich
in die Hände
der Kirche und der Mediziner legt
ist von vornherein
hoffnungslos verloren
Er geht mit dem Koffer zu dem Tisch.
Die Dimension
des Alleinseins
ist für einen Nichtbetroffenen
einem Außenstehenden
nicht fassbar
Vorstellen
kann man es sich nicht
das Alleinsein
So ist das Leben
man begreift das Glück erst
wenn es einem durch die Hände geglitten ist
Vom Kürschner zum Tierpräparator
zum Tierpräparator aufgestiegen
Was für ein Aufstieg
Vom Kürschner zum Tierpräparator
Er fasst sich an den Kopf.
Ich hätte studieren können
Ich aber
habe Mäntel gemacht
Mäntel
Mäntel im elterlichen Betrieb
Mäntel
Mützen
Muffs
Alles nur
der Mutter zuliebe
Nach dem Tod der Mutter
bin ich Tierpräparator geworden
Er lacht.
Tierpräparator
Photographie
wollte ich studieren
Tierpräparator
bin geworden
Der Beruf des Tierpräparators
hat schon seine Vorteile
ganz ohne Zweifel
Allein wegen der Pension
lohnt es sich
Und bei der Arbeit
hat man seine Ruhe
Nicht umsonst wird behauptet
die Museumsruhe
wäre die gesündeste
Zwischen lebendig wirkenden
ausgestopften Tieren
habe ich die meiste Zeit
meines Lebens verbracht
in absoluter Ruhe
Er fängt sich wieder.
Marion muss durchhalten
Wenn sie im Bad gefallen ist
hat sie wenigstens Wasser
Bis zum Waschbecken oder zur Badewanne
wird sie sich wohl aufraffen können
Ein Tag ohne Essen
das hält man aus
Wenn sie im Badezimmer gefallen ist
hat sie eine Chance
Sie hätte sich nicht übernehmen sollen
Auf der ganzen Welt
ist sie in den letzten Jahren gewesen
Von überall her
habe ich Postkarten
von ihr bekommen
Das konnte ja
auf die Dauer nicht gut gehen
da musste ja direkt etwas passieren
Der menschliche Körper und die Seele
sind nicht dafür gemacht
einfach nicht fähig
solche Strapazen
auf die Dauer auszuhalten
Das fremde Essen
die schlechten Hotelbetten
und ganz besonders
die Zeitunterschiede
sind gesundheitsgefährdend
Auf jeden Fall schädlicher
als meine drei Zigaretten
die ich mir täglich genehmige
Marion ist Nichtraucherin
eine militante Nichtraucherin
Er lacht.
Einmal
hat sie bei einem Telefongespräch aufgelegt
einfach aufgelegt
nur weil ich dabei geraucht habe
Jetzt liegt sie weit ab
hilflos in ihrem Badezimmer
und wartet darauf
von einem Raucher
gerettet zu werden
Er nimmt eine krumme selbstgedrehte Zigarette aus der Schachtel, die er soeben aus seiner Jackentasche genommen
hat, und zündet sie sich an. Er nimmt ein paar kräftige Züge.
Sein Blick fällt auf den Koffer.
Unausgepackt
habe ich ihn
vor Jahren
so in den Schrank gelegt
Die Krankenschwester
hatte ihn mir
auf diesem schrecklichen Flur
in die Hand gedrückt
Es war nie meine Art
in den Sachen
meiner Mutter herumzuwühlen
Aber jetzt
in Anbetracht der Dinge
Vorsichtig öffnet er den Koffer, ganz langsam holt er die obenauf liegende Strickjacke heraus.
Die
hatte sie immer
gerne getragen
Kalt war ihr
von jeher
Geschenkt
hatte ich sie ihr
vor dem ersten Krankenhausaufenthalt
Wenn sie Angst hatte
fror sie besonders
Er legt die Jacke beiseite, des Weiteren packt er mehrere kleine hellgrüne Porzellanfläschchen und Seifenstücke aus.
Auf den Tisch stellt er sie wie eine Spielzeugarmee in eine Reihe.
Ich werde mir einen neuen Koffer kaufen
Noch ist Zeit dazu
Er zieht nachdenklich an der Zigarette.
Plötzlich klingelt es an der Tür.
Die Niekisch
Es klingelt mehrmals.
Bestimmt die Niekisch
Will wieder ein Ei
oder etwas Mehl
Dabei möchte sie ja nur in die Wohnung
Ich werde nicht aufmachen
Wer bin ich denn?
Nein
nein
der Niekisch
mache ich nicht auf
das wäre ja noch schöner
Es hört nicht auf zu klingeln.
Eine Unverschämtheit
Ich werde mich bei der Hausverwaltung
beschweren
Was kann ich dafür
dass ihr der Mann
davongelaufen ist?
Ist nicht mein Problem
nein
wirklich nicht
Jemand versucht an der Wohnungstür den Briefschlitz hochzuheben.
Eine Frauenhand wird sichtbar. RUDOLF versucht sich zu verstecken.
NIEKISCH:
Hallo?
ich sehe dich
Hallo
Rudolf
Warum machst du nicht auf?
Ich bin es doch
Rudolf?
Ich
Rudolf
bitte mach auf
Erst jetzt greift MARION in die Handlung ein. Sie tritt von hinten an RUDOLF und berührt ihn. RUDULF dreht sich
erschrocken um.
MARION:
Ich bin es doch
Ich bin es
Marion
DEINE MARION
RUDOLF:
MARION?
PERSONEN:
RENE ALLERMANN Erfolgsautor
In einem modernen Kaffeehaus.
Die Inneneinrichtung ist »zeitgeistig« (viel Chrom, heller Marmor
etc.)
Auf der einen Seite ist eine Wendeltreppe, die in den Keller
führt. (darüber Hinweisschilder für die Toilette)
Auf der anderen eine Bar mit Spiegeln, daneben eine große
Pendeltür. Die Vorderfront bildet ein großes Fenster, darauf in
einer Ecke ein Plakat mit der Aufschrift:
» HEUTE GESCHLOSSEN
NEUERÖFFNUNG
IN WENIGEN TAGEN«
Erste Szene
An einem Tisch (ein alter Kaffeehaustisch) sitzt der
»Erfolgsautor«, RENE ALLERMANN, neben sich ein Garderobenständer mit Zeitungen. Tisch, Stuhl und Garderobenständer stehen im krassen Gegensatz zu der
sonstigen Einrichtung. RENE ALLERMANN trägt einen abgetragenen Anzug.
RENE ALLERMANN:
Leer geworden ist es
Manchmal denke ich
ich bin allein auf dieser Welt
wohlgemerkt
neuerdings erst
Früher war es auch hier
nicht so leer
Da traf man sich
war dieser Ort Treffpunkt
für jedermann
Mir ist es egal
Er lehnt sich zurück.
mir ist es immer egal gewesen
habe immer allein am Tisch gesessen
An meinem Tisch
wohlgemerkt
an meinem Tisch
Das Schöne
an dieser Lokalität
ist die Tradition
Namentlich wird man begrüßt
man kennt jede Gewohnheit
die unterschiedlichen Geschmäcker
Die Zeitung liegt schon da
Es ist alles geordnet
alles geregelt
Ja
alles hat hier seinen Platz
Sicher die Preise erhöhen sich stetig
aber dafür ist das Personal
dasselbe geblieben
Ein beruhigendes
schönes Gefühl
in dieselben Gesichter
immer und immer wieder
zu blicken
Die Stimmen
auswendig gelernt
Käme jetzt
der »graue Star« über mich
oder eine andere Augenkrankheit
hier
hätte ich keine Probleme
37 Schritte bis zur Herrentoilette
19 bis zum Kuchenbüffet
Mein Tisch
der dritte von links
der rechte Stuhl am Fenster
Auf dem Tisch
die aktuelle Kuchenkarte
je nach Jahreszeit
Der Aschenbecher
zwei kleine Öffnungen für Zigaretten
und eine größere für die Zigarre
nach dem Kaffee
Ich selber
rauche ja nur noch wenig
die wenigsten wissen es
Auch hier
hat es einige Zeit gedauert
bis sie es registriert haben
Die Außenwelt
macht es einem schwer
alte Gewohnheiten abzustreifen
wie einen alten
speckigen Anzug
Käme ich beispielsweise
nicht zu den von mir vorbestimmten Zeiten
in dieses Café
Fragen würden mir gestellt
eine Lawine an Fragen
Sorgen
würde man sich machen
die Ordnung
käme durcheinander
Vor drei Jahren beispielsweise
starb mein Bruder
eine lästige Geschichte
wirklich unangenehm
Da ich
als einziger nächster Verwandte
naturgemäß
die Aufgabe hatte
alles in die Wege zu leiten
kam mein Leben
für eine kurze Zeit
aus dem Takt
eine unangenehme Geschichte
Das hiesige Personal
ein wirklich sehr aufmerksames Personal
las die von mir aufgegebene Todesanzeige
las meinen Nachnamen
und zog ihre Schlüsse daraus
Als ich Tage später
zur gewohnten Zeit
zu der von mir vorbestimmten Zeit
meinen Tisch
aufsuchen wollte
war dieser besetzt
Mein Tisch
den ich von jeher
immer
zu einer ganz bestimmten Zeit aufsuche
war besetzt
Eine peinliche Angelegenheit
für beide Seiten
Man hielt mich für tot
nicht mehr existent
Man muss sich das einmal vorstellen
Es hat naturgemäß
Konsequenzen mit sich gezogen
Ich habe mich
auf eine Art und Weise
dem Personal genähert
man möge mir das nachsehen
Ja
ich will es offen gestehen
an diesem unsäglichen Tage
habe ich dem Personal
meine Verwandtschaftsverhältnisse
erläutern müssen
habe allen Mitarbeitern
dieses ehrwürdigen
traditionsreichen Cafés
meinen Vornamen mitgeteilt
Man kann durchaus sagen
dass mir diese Handlungsweise
abgezwungen wurde
Ein bedeutender Tag
in der Geschichte dieser Lokalität
Ich habe meinen Bruder
ohnehin nie leiden können
Selbst über den Tod hinaus
hat er mir noch Ärger
und Schwierigkeiten bereitet
Bin seitdem auch nicht mehr
an seinem Grab gewesen
Wer über seinen Tod hinaus
noch in der Lage ist
anderen
Unannehmlichkeiten zu bereiten
hat es nicht verdient
dass man ihn besucht
Er nimmt vom Zeitungsständer eine Tageszeitung mit Halter und blättert sie durch.
RENE ALLERMANN:
Unsinn
Wahnsinn
Schwachsinn
Unsinn
Bei den Todesanzeigen hält er inne.
Im Sommer
sterben sie wie die Fliegen
Das Klima der Stadt
ist im Sommer
nicht für jedermann
bekömmlich
Obwohl der Winter
naturgemäß
für den Tod prädestiniert ist
sterben sie hier
im Sommer
Die Leichenbestatter
und die Angehörigen
freuen sich über diese Tatsache
Das Bestattungsgeschäft
ist in dieser Stadt
ein Saisongeschäft
Der Leichenbestatter
kommt leichter in den Boden
Die Angehörigen sind sicher
vor einer Verkühlung
während den Bestattungsfeierlichkeiten
Mein Bruder
ist natürlich im kältesten Winter
den die Stadt
seit Jahrzehnten
zu verzeichnen gehabt hat
gestorben
Allein die Ausschachtung mit Presslufthammer
und Bagger
hat mich ein Vermögen gekostet
Er blättert bis zu den Kleinanzeigen weiter.
RENE ALLERMANN:
»Sinnliche Wachauerin sucht gleichgesinnten Wachauer«
»Langenzersdorfer Schlachter
sucht Gehilfen zwecks Hausschlachtung«
»Viehzüchter aus Klosterneuburg
sucht erfahrenen Besamer
gegen gute Bezahlung«
»In dreißig Tagen Millionär
Das Handbuch
für den erfolgreichen Geschäftsmann
Wegen Geschäftsauflösung
jetzt um fünfzig Prozent billiger«
Ungläubig schüttelt RENE ALLERMANN mit dem Kopf. Er steht auf, hängt die Zeitung an den Haken und schaut aus dem Fenster.
Nach einer Weile
RENE ALLERMANN:
Es gibt wenige Gäste
die meiner Natur entsprechen
gerade im Sommer
Im Sommer
fühlt man sich oft allein
Zu viele Gesichter
fremde Gesichter
die hier
kurz eintauchen
in die Geborgenheit
in die Wiener Gemütlichkeit
flüchtend
vor dem hektischen Strom
der durch die großen Geschäftsstrassen fließt
Das Klicken der Photoapparate
Kreischende Kinder
überfüllte Reisebusse
der Benzingestank
All das
nimmt im Sommer
dermaßen
Ausmaße an
dass mir oft der Gedanke kommt
wieder zu reisen
Ich habe lange
keine Reisen mehr unternommen
Nicht
dass ich es mir nicht leisten könnte
weit gefehlt
Auch ist es nicht die Angst
in einem fremden Land
das Zeitliche zu segnen
Mein Bruder ist tot
ihn kann ich nicht mehr schädigen
Nein nein
zuviel
habe ich meinen Sinnen zugemutet
In jungen Jahren
zuviel gespeichert
naturgemäß
alles unreflektiert gespeichert
Ich bräuchte sieben Leben
um all das aufzuarbeiten
Allein für die Sortierung
würde ein Leben nicht ausreichen
Er setzt sich wieder.
RENE ALLERMANN:
Ruhelos
bin ich umhergezogen
bis ich dann doch wieder
hier
angelangt war
Die Stadt ist wie ein Sog
sie holt sich ihre Kinder
immer wieder zurück
alles nur eine Frage der Zeit
Den Ausbruch
habe ich versucht
vor Steinhof
Angst gehabt
Jeder kreative Mensch
landet zwangsläufig
irgendwann
in seinem Leben
in Steinhof
Alle wirklichen Künstler der Stadt
sind irgendwann
in ihrem Leben
einmal
in Steinhof gewesen
weil sie nicht aufgepasst haben
den Ausbruch
nicht versucht haben
Mir ist er gelungen
der Ausbruch
in der ganzen Welt
bin ich gewesen
Im Orient den Kaffee getrunken
Es ist eine deprimierende Erfahrung
für mich gewesen
feststellen zu müssen
das selbst in den Ländern
wo die Kultur des Kaffeekochens
zuhause ist
man nicht in der Lage ist
so wie hier
den Kaffee zu kochen
Traurig traurig
Ich dachte noch bei mir
als ich diese Reisen
mit gutem Willen
und einem Schuss
jugendlicher Naivität unternahm
es hielte sich alles so
wie mit der Sprache
aber auch da
wurde ich um Erfahrungen reicher
Wie oft wurde ich enttäuscht
als ich ausländische Autoren
zuvor in deutscher Übersetzung
später neugierig geworden
im Original las
welche Verschiebungen
fanden da statt
Fälschungen
nichts als
dilettantische Fälschungen
Eindrücke
Empfindungen
alles so entfremdet
übersetzt
dass gar
ein neues Bild entstand
Beispielsweise »Lysistrate«
von Aristophanes
Gewaltige Kluften
liegen zwischen der billig Ausgabe in gelb
und einer wissenschaftlichen
fundierten
gebundenen Ausgabe
Ja gebunden
und dementsprechend teuer
dachte ich
in meiner jugendlichen Naivität
Jahre musste es dauern
bis ich dahinter kam
Geld musste ich verdienen
um mir ein Bild
machen zu können
von der Qualität an Übersetzungen
Wissen ist Macht
dachte ich damals
Heute hat es viel mehr
mit Geld zu tun
Im Übrigen
ist der Beruf des Übersetzers
von jeher
ein Hungerleiderberuf
Obwohl
die ausländischen Autoren
die unsäglichen Bücherhitlisten anführen
und die Verleger
Millionen scheffeln
verdienen die Übersetzer
Hungerleiderlöhne
und die heimatverbundenen Dichter
werden gar ganz vergessen
Er schaut auf seine Taschenuhr.
RENE ALLERMANN:
Die Zeit
geht ihre eigenen Wege
und ich den meinen
Jahrelang in Spanien gelebt
Dem Klima zuliebe
Der Gesichtshaut
hat es auch gut getan
ohne Zweifel
Aber der Magen
er weigerte sich
den spanischen Kaffee
zu honorieren
wobei ich nichts Nachteiliges
über den spanischen Kaffee sagen könnte
Bin halt Heimat verbunden
gebe ich offen zu
Im Alter
hat man sowieso
vielmehr Möglichkeiten
offen etwas zuzugeben
Ja Heimat verbunden
das bin ich
ganz ohne Zweifel
Er schaut sich etwas nervös um, dann wieder fällt der Blick auf
die Taschenuhr.
RENE ALLERMANN:
Leer geworden ist es
Noch keine zehn Uhr
und schon niemand mehr da
Die Bedienung
so gerne ich sie mag
und schätze
so lange ich sie
schon kenne
Sie könnte sich ruhig
wieder einmal
blicken lassen
Wahrscheinlich
wieder eine dieser
jetzt immer häufiger werdenden
Betriebsversammlungen
Nicht
dass ich etwas gegen Gewerkschaften hätte
nein wirklich nicht
Aber einer
der im Dienstleistungsgewerbe
an vorderster Front tätig ist
für den
kann doch ein gewerkschaftlicher Beschluss
nicht Bestand haben
Nein wirklich nicht
ist er doch auf Trinkgelder angewiesen
Nicht so der Fall
im gegenüberliegenden Theater
Wären die Herrschaften
dort
auf das Trinkgeld angewiesen
auf die Bezahlung
durch das Publikum
hätte die Stadt
eine nicht zu verachtende Anzahl
an Hungerleidern mehr
Sie könnten sich dann in die Schlange
der Übersetzer einreihen
Er lacht kindisch.
Man merkt ihm an, dass das gegenüberliegende Theater für ihn eine tiefe Bedeutung hat.
RENE ALLERMANN:
Leistung
Freundlichkeit
Service
Hierarchie
Ja
darüber redet niemand
Über die Staffelung der Trinkgelder
redet niemand
jedenfalls nicht öffentlich
Umso mehr sich jemand
im Dienstleistungsgewerbe
der Menschenwürde entzieht
wohlgemerkt
im Dienstleistungsgewerbe
und nicht im gegenüberliegenden Theater
desto höher ist das Bakschisch
das Trinkgeld
Ist es nicht so?
Lassen wir uns
nicht jede Art
an Schmeicheleinheiten
an Schmeichelkeiten
an Schmeicheleien
bezahlen?
In einer Zeit
der festprogrammierten Eitelkeiten
erleben
die professionellen Schmeichler
ohne Zweifel
einen Aufschwung
der sich allabendlich
zu Buche schlägt
Er wiederholt den Satz langsam.
In einer Zeit
der festprogrammierten Eitelkeiten
erleben die professionellen Schmeichler
ohne Zweifel
einen Aufschwung
der sich all abendlich
zu Buche schlägt
Ein wirklich schöner Satz
ein wirklich schöner
gelungener Satz
Ein Satz
der sich lohnt
festgehalten zu werden
Er nimmt Stift und Papier und schreibt den Satz langsam auf, dabei wiederholt er den Satz murmelnd.
Er betrachtet das Geschriebene.
RENE ALLERMANN:
Wirklich
ein schöner
gelungener Satz
Was
frage ich
nutzen da
Tarifverhandlungen
Tarifabschlüsse
Das Trinkgeld
recht verstanden
bewusst eingesetzt
ist eine der letzten Bastionen
der freien Entscheidung
der individuellen Entscheidung
überhaupt
Man kann den Stellenwert
der eigenen Person
beziehungsweise
das was einem
an Höflichkeiten
Aufmerksamkeiten
entgegengebracht wird
in Prozente messen
Moment einmal
Er steht auf und geht zur Tafel, auf der sonst aktuelle Tagesangebote vermerkt sind, und wischt das Geschriebene,
ohne es zu lesen einfach weg
(HEUTE GESCHLOSSEN NEUERÖFFNUNG IN WENIGEN TAGEN).
Er nimmt ein Stück Kreide und schreibt die Prozentzahlen auf.
RENE ALLERMANN:
ZEHN PROZENT
und man gehört zur Gattung
der
STUDIOSI
Der Ober drückt seine Besorgnis
über den ausbleibenden
sonst regelmäßigen Scheck
der Eltern aus
DREISSIG PROZENT
Die Bemerkung
der Glückwunsch
zum bestandenen
EXAMEN
steckt den Rahmen des Entgegennehmenden
SECHZIG PROZENT
Der Kellner verleiht einem
ohne die rechtliche Grundlage
dafür zu besitzen
die
DOKTORwürde
Bei
NEUNZIG PROZENT
gar
wird man
ohne es zu wollen
in den Staatsdienst gehoben
HERR GEHEIMRAT
HERR HOFRAT
HERR BURGSCHAUSPIELER
HERR KAMMERSÄNGER
HERR MINISTERIALDIRIGENT
Da er keinen Platz mehr auf der Tafel hat, hört er mit der Auflistung auf.
An sonnigen Tagen
sogar
in den Adelsstand
Meine Bedienung
und ich
wir haben uns
auf Dichter
geeinigt
Dichter
klingt
handwerklicher
als Poet
oder Autor
In Dichter
steckt Handlung
Leben
Ich bin Handwerker
aber langsam könnte die Bedienung
wirklich kommen
Er geht wieder zu seinem Platz.
Dabei
RENE ALLERMANN:
Um mir die Zeit zu vertreiben
könnte ich die Toilette aufsuchen
37 Schritte
32 1/2
bis zur Tür
der Rest
bis zum Becken
Jetzt ist sie leer
eine Gelegenheit
die ich ausnutzen sollte
Leer muss sie sein
menschenleer
Eine Grundvoraussetzung für mich
Durch Erziehung
so komprimiert
dass ich nicht kann
wenn jemand dabei ist
neben mir steht
In einem so großen Café
es zu schaffen
allein zu sein
ist schon eine Kunst
eine große Kunst
Ich finde
es gibt Dinge
im Leben eines Menschen
die sollte er
allein erledigen
Der Übergang
vom Mädchen zur Frau
Das Gebären
Der Tod
All das
muss man allein erledigen
man muss es nur wissen
sonst scheitert man
Der Stoffwechsel
beispielsweise
Der Stoffwechsel
beziehungsweise
was daraus resultiert
gehört mit Bestimmtheit dazu
Ich hasse es
in einer Art Kollektiv
mein Geschäft zu erledigen
er grinst
Gegenüber die
die
müssen es
die lieben
vergewerkschaftlichen Künstler
Vor Premieren
habe ich mir sagen lassen
sitzen sie
wie die Hühner
auf der Stange
Ich für meinen Teil
bringe das nicht fertig
Das Stöhnen
Das Pressen
Das Aufatmen
All das
bringt mich aus dem Konzept
hindert mich
es einfach zu tun
Es ist schon eine Art der Vergewaltigung
die einem da
die Lokalität aufzwingt
Ich für meinen Teil
bin so sensibel
dass ich Lokalitäten meide
die mehr
als ein Urinalbecken besitzen
Zwei Becken
sind in Ausnahmefällen
wohlgemerkt
in Ausnahmefällen
noch zu tolerieren
Aber die Vorstellung
von drei Becken
und das mittlere
ist nur frei
macht mich rasend
nach einer Weile
Ob sie meinen Kaffee vergessen haben?
Ich werde zum Kuchenbüffet gehen
das sind weniger Schritte
Er geht mit geschlossenen Augen in Richtung Thekenbereich, dabei zählt er laut.
RENE ALLERMANN:
Eins zwei drei
vier fünf sechs
sieben
acht neun zehn
elf zwölf dreizehn
Er stößt gegen die moderne Theke.
Was ist denn das?
Wo sind
der dreizehnte
und der vierzehnte Schritt?
Er berührt vorsichtig die moderne Theke.
Ein Kunstwerk?
Hier?
Hier ein Kunstwerk?
Hier herinnen
hat doch noch nie
ein Kunstwerk
gestanden
Hier herinnen
hat sich noch nie
ein Künstler verirrt
Kunstwerk
Kunstzwerg
Er lacht über sich selber
Ohlsdorf - Totentanz
Nix is!
Bled is!
Aus is!
BURGTHEATERZWERG
PERSONEN:
WIRT Hinteregger, Besitzer des Gasthofes in Ohlsdorf
ANNA seine Nichte, Bedienung im Gasthof
ALOIS Gelegenheitsarbeiter, die treue Seele
des verstorbenen Dichters
SPANDOLINI Geistlicher aus Rom,
ein Geschädigter des Verstorbenen
ADOLFO sein Fahrer aus den Abruzzen
EHEMALIGER MINISTERPRÄSIDENT
ein Geschädigter aus Deutschland
FRAU DES EHEMALIGEN MINISTERPRÄSIDENTEN
SCHAUSPIELER ein Geschädigter aus Österreich
SCHAUSPIELERIN seine Frau
BURGTHEATERZWERG ein Chronist
Im Gasthaus zu Ohlsdorf
Erste Szene
Der WIRT Hinteregger steht hinter dem Ausschank und spült Gläser.
An einem Tisch sitzt der Waldarbeiter ALOIS vor einem Krug Bier.
An der Tür, die zum Gesellschaftssaal führt, hängt ein Schild:
»Heute Geschlossene Gesellschaft«
Im Hintergrund läuft leise das Radio.
WIRT:
Auf den Tag genau
vor einem Jahr ist er gestorben
ALOIS:
Ein vom Schicksal oft heimgesuchter Mensch
Selbst die Bäume vor seinem Anwesen
haben ihm keine Freude bereitet
Absägen habe ich sie müssen
Bis auf einen sind sie alle befallen gewesen
WIRT:
Man sagt
das Kranke zieht sich an
ALOIS:
Wenn man einen Käfer sieht
ist es schon zu spät
Er hätte frühzeitig spritzen sollen
Aber auf mich hat er ja nicht gehört
Ein Gemütsmensch
bin ich für ihn gewesen
Die treue Seele Alois
treu aber keinen Verstand
hat er immer gesagt
Treu aber keinen Verstand
WIRT:
In der Zeitung ist gestanden
er hätte unsere gute Luft nicht vertragen
Unser Klima sei ausschlaggebend gewesen
einfach lächerlich
Nirgendwo im Lande
gibt es soviel Hundertjährige
wie hier bei uns
Die Bedienung ANNA kommt aus der Küche.
ANNA:
Für wie viel Personen soll ich eindecken?
Servus Alois
ALOIS:
Servus Anna
setz' dich her zu mir
Sie lacht verlegen.
WIRT(nachdenklich):
Acht Personen haben sich angemeldet
telefonisch
Das ist gut
Also deck' für zwölf Personen ein
Die Herrschaften aus der Stadt
können es sich leisten
ANNA:
Aber an den Tisch passen doch nur zehn Gedecke
WIRT:
Dann deck' halt für zehn ein
Und hol' einen Mantel aus der Kammer
Die Bedienung geht in den Saal.
WIRT:
Ja Alois
so ist das
Jetzt ist er schon ein Jahr unter der Erde
aber eine Arbeit macht er einem immer noch
Allein die Übernachtungen
sind um das Fünffache gestiegen
von den Durchreisegästen erst gar nicht zu reden
Den Gesellschaftsraum
vermiete ich nur mehr
an Übernachtungsgäste
sonst rentiert es sich nicht
Mit den Durchreisegästen ist kein Geld zu machen
Ein Bier
einen Kaffee
und in Ausnahmefällen ein Essen
Nein
nein
das lohnt nicht
Und dann diese Camper
Die Camper sind die allerschlimmsten
Da sitzen sie zu viert
stundenlang an einem Bier
und bevor sie gehen
füllen sie heimlich
ihre Wasserkanister bei mir auf
Mein Wasserverbrauch ist in letzter Zeit
um das Zehnfache gestiegen
Ich habe es aber dem Bürgermeister gesagt
immer und immer wieder
habe ich es dem Bürgermeister gesagt
Was wir brauchen sind Mautstationen
Auf beiden Seiten von Ohlsdorf
müssen Mautstationen her
ALOIS:
Machst’ mir noch ein Krügerl Bier
Hinteregger?
WIRT:
Ist schon recht Alois
das geht auf Kosten des Hauses
wo er dich nicht einmal
in seinem Testament bedacht hat
Aus dem Saal: die Stimme der Bedienung
ANNA:
Soll ich auch für Suppe eindecken?
WIRT:
Aber selbstredend
wo doch noch soviel
aus der letzten Woche übrig ist
zu ALOIS
Überhaupt essen Städter gerne Suppe
Man kann sagen
dass Städter regelrecht verrückt sind
auf unsere gute Landsuppe
In der Stadt bekommen sie ja nirgends
so eine gute Suppe wie hier draußen
Städter sind regelrechte Suppenesser
Umso mehr Suppe am Anfang
desto weniger greifen sie nach dem Braten
Bisher habe ich jeden Braten
zweimal verkaufen können
Mit Ausnahme der Luxemburger
Die Luxemburger
haben den übrig gebliebenen Braten
einfach mitgenommen
Servietten und Papier haben sie verlangt
Die Luxemburger haben keinen Anstand
aber dafür haben sie einen Mantel
und einen Tisch gekauft
ALOIS:
Ja ja
Suppe hat auch er immer gern gegessen
Alois
hat er gesagt
heute ist mir nach Suppe
Lass uns zum Hinteregger gehen
hat er gesagt
Suppe
kann man überhaupt nur beim Hinteregger essen
Nudelsuppe
zwei Teller Nudelsuppe hat er gegessen
und sich dabei Notizen gemacht
Nazis
Nazis
hat er gemurmelt
und sich mit einem Bleistift
Notizen gemacht
Er steht auf und geht zum WIRT.
Auf die Serviette hat er alles geschrieben
Da schau
Er holt einen kleinen Bleistift aus der Hosentasche.
Der WIRT schaut neugierig.
WIRT:
Ein ganz gewöhnlicher Bleistift
ALOIS:
sein Bleistift
WIRT:
Das bringt mich auf eine Idee
in den Saal rufend
Anna
lauf mal schnell in den Laden
und kauf alle Bleistifte auf
Alois
Du bist ein Goldjunge
Fünfhundert Schilling
werde ich für einen Bleistift nehmen
Vierzigtausend Schilling
für einen Tisch
Zwanzigtausend
für den Mantel
Fünfhundert Schilling
für den Bleistift
das ist selbst für Studenten erschwinglich
Alois
heut' bist du mein Gast
Er stellt ihm ein Krügerl Bier hin.
ALOIS:
Dank' dir schön
Hinteregger
WIRT:
Schade ist nur
dass du die kranken Bäume
alle schon verheizt hast
Das wäre ein Geschäft geworden
Kleine Scheiben hätte ich geschnitten
sie lackiert
und als Untersetzer verkauft
Des Dichters kranke Bäume
als Bieruntersetzer
das hat was
ANNA kommt mit fünf Lodenmänteln herein und hängt sie an den Garderobenständer.
WIRT:
Anna was soll das?
Einen
habe ich gesagt
Immer und immer wieder
habe ich dir gesagt
Du sollst nur einen Mantel hinhängen
Was soll ich denn mit fünf Mänteln
kannst du mir das sagen?
Dummes Ding
Sie nimmt vier Mäntel vom Haken und bringt sie wieder zurück in die Kammer.
WIRT:
Die bringt es fertig
und zerstört meine ganzen Geschäfte
Den Luxemburgern
hätte sie fast zwei Tische verkauft
Gott sei Dank
sind sie schon alle betrunken gewesen
Dabei habe ich es ihr schon hundert Mal erklärt
Pro Reisegruppe
nur ein Tisch und ein Mantel
aber das kriegt sie nicht in ihren Kopf
ALOIS geht mit seinem Bier zu dem Tisch an der Tür.
ALOIS:
Ja
ja
hier hat er immer gesessen
Hier an der Tür
war sein Platz
Beim Essen
hat er mir von Madrid erzählt
Nur in Madrid
hat er gesagt
nur in Madrid
habe ich Sehnsucht
nach dem Hinteregger seiner Nudelsuppe
In Wien
hat er gesagt
in Wien
habe ich nur einen Heißhunger
auf dem Hinteregger seinen Rindsbraten
Aber schon nach zwei Tagen
hat er gesagt
schon nach zweimal
Nudelsuppe und Rindsbraten beim Hinteregger
kann ich Nudelsuppe und Rindsbraten
nicht mehr sehen
WIRT:
Das hat er niemals gesagt
Meine Nudelsuppe und meinen Rindsbraten
hat er immer nur gelobt
ALOIS:
Dir
hat er es nicht gesagt
mir schon
Ich bin ja auch sein Vertrauter gewesen
Mir
hat er alles anvertraut
Ausgesprochen
hat er sich nur mit mir
Alois
hat er gesagt
Du bist ein Gemütsmensch
mein Beichtvater
und dabei
hat er immer gelacht
Ja
ja
er konnte schon lustig sein
wenn er wollte
WIRT:
Ich
habe ihn nie lachen gesehen
die ganze Zeit nicht
Die Menschen
haben es ja auch nicht
gut mit ihm gemeint
Andauernd
soll er Drohbriefe erhalten haben
regelrechte Morddrohungen
sagt man
Und das alles
wegen ein paar Theaterstücken
Die Städter
sind schon ein verrücktes Volk
und allen voran
die Wiener
Erst hassen sie ihn wie die Pest
und kaum ist er unter der Erde
wollen alle seinen Tisch
und seinen Mantel kaufen
Die Beerdigung
soll ja auch recht trostlos gewesen sein
Für Blumen und Kränze
haben sie kein Geld
aber ein Erinnerungsstück
wollen sie alle haben
Ein Erinnerungsstück
vom großen Meister
kann gar nicht teuer genug sein
Ich versteh' die Städter nicht
ALOIS:
Heimlich
und in aller Stille
haben sie ihn beerdigt
Nur im Kreise
der Verwandten und Freunde
so hat es mir der Bruder geschrieben
und sich für all meine Arbeit bedankt
Wenn ich einmal in Wien sein sollte
so hat er geschrieben
würde er sich selbstverständlich Zeit nehmen
mir sein Grab zu zeigen
Die Zeitungen
wurden erst hinterher informiert
Die Presse
hat ja sowieso nur negativ
über ihn geschrieben
Regelrecht zum Volksfeind
haben sie ihn erklärt
WIRT:
Den Karajan
hat man seinerzeit in Salzburg
auch heimlich verscharren müssen
Die Salzburger
haben ein Glück
erst Mozartstadt
und jetzt auch noch der Karajan in ihren Reihen
Wenn der hier gelebt hätte
ein Geschäft wäre das geworden
Karajan Semmel
Würste
Braten
Kugeln
ganze Mehlspeisen
Frisuren
Mäntel
Hosen
Beim Karajan
würde mir vieles einfallen
aber bei so einem unbeliebten Dichter
wie er einer war
da bleibt nicht viel
ein paar Mäntel
ein paar Tische
Bin gespannt
ob die Bleistifte gehen
Er geht in die Küche.
ALOIS:
Ja
ja
sein Vertrauter bin ich gewesen
immer hier
mit ihm am Tisch gesessen
Einmal
als ich ihm nach einem Sturm
das Dach gerichtet habe
ist er mit einem Bier gekommen
und hat gesagt
Es ist gut
einen Freund zu haben
Ja
ja
Freund hat er gesagt
Jetzt ist er tot
und die anderen
machen ein Geschäft daraus
Schlecht sah er aus
als er das letzte Mal da war
müde wirkte er
Dass du mir ja nicht den Garten vernachlässigst
hat er mir noch zum Abschied gesagt
Und wenn ich aus Wien zurück bin
fällen wir beide den letzten Baum vor dem Haus
Nur wir beide Alois
hat er noch gesagt
Jetzt
hat ihn der eine Baum
doch noch überlebt
werde ihn halt allein fällen müssen
Gott sei Dank
hat mich der Bruder übernommen
Den Garten
halten Sie natürlich weiter in Ordnung
hat er geschrieben
Sie mit ihrer grünen Hand
sind unentbehrlich
Der Bruder
auch ein feiner Mensch
Er nimmt einen kräftigen Schluck.
Ob ich noch mähen soll?
Er schaut aus dem Fenster.
Das Wetter
es wird wohl umschlagen
Und morgen
ist auch noch ein Tag
Die Bedienung kommt mit einem Karton Bleistifte in die Gaststube.
ANNA:
Mein Gott
ist es schwül draußen
ALOIS nimmt ihr den Karton ab und stellt ihn auf die Theke.
Das ist aber lieb von dir Alois
Soll' ich dir eine frische Halbe machen?
ALOIS:
So ist's recht Anna
Eine Halbe
ist das rechte Maß
Der Hinteregger
der Geizkragen
lässt höchstens mal ein Krügerl springen
Obwohl er an meinen Ideen genug verdient
bin ich ihm nur ein Krügerl wert
Die Idee mit den Bleistiften
ist auch von mir
ANNA :
Ganz verändert ist der Onkel
seitdem er tot ist
Den Zeitungsbericht
über Ohlsdorfs großen Dichter
hat der Onkel über sein Bett gehangen
Ohlsdorfs großer Dichter
dass ich nicht lache
Im ganzen Jahr
hat er höchstens einen Monat
hier verbracht
ALOIS:
Ja ja
er hat's halt nirgendwo
lang ausgehalten
aushalten können
Immer hat ihm was gefehlt
In Madrid
dem Hinteregger seine Nudelsuppe
Und hier bei uns
sein spanischer Kaffee
Die Bedienung gibt ihm das Bier.
ANNA(leise) :
Verändert
hat den Onkel das Fernsehen
Das Fernsehen
ist an allem schuld
Kurz nach seinem Tod
haben sie im Fernsehen
ein Theaterstück von ihm gebracht
und mein Onkel hat's gesehen
Ich habe mich noch gewundert
da er sonst doch nie fernsieht
Ganz allein
ist der Onkel im Saal gesessen
regelrecht gespenstisch
ist das gewesen
Mit ganz großen Augen
hat der Onkel unentwegt auf den Fernseher gestarrt
und dabei immer wieder
mein Gasthof
das ist mein Gasthof geschrieen
Ich bin zu ihm hin
und hab' ihn beruhigen wollen
Aber es ist nur schlimmer geworden
Schau Anna
schau hin
Da mein Gasthof
mein Saal
Schau Anna
das bin ich
das bin ich
Das soll ich sein
Danach
habe ich ihn zwei Tage lang
nicht gesehen
Einfach verschwunden war der Onkel
und danach wie ausgewechselt
Kurze Zeit später
sind die Lastautos gekommen
Und jetzt
steht der ganze Schuppen voller Tische
und die Kammer quillt vor Mäntel über
Erst gestern
hat der Onkel eine Kupferplatte
in Auftrag gegeben
mit irgendeiner Inschrift
die will er draußen an der Tür anbringen
Aber das Schönste
kommt erst noch
Sie schaut sich ängstlich um.
Heute Morgen
musste ich für ihn
einen Eilbrief aufgeben
an den Landeshauptmann adressiert
Der Onkel verlangt eine Umbenennung
unseres Ortes
Aus Ohlsdorf
will der Onkel Utzbach
oder Butzbach machen
Möchte nur wissen
wer ihm solche Ideen
in den Kopf setzt?
Alois
ich hab' Angst um ihn
Eines Tages
werden sie ihn abholen
und dann steh' ich da
ganz allein
ALOIS:
Hast du denn den Brief aufgegeben?
ANNA:
Wo denkst du hin
Verbrannt habe ich ihn
Aber wenn er keine Antwort bekommt
wer weiß
wem er dann schreibt
vielleicht dem Bundespräsidenten
ALOIS:
Übernehmen wird er sich
der Hinteregger
dein lieber Onkel
Übernehmen
das sage ich dir
Die ganze Geldschacherei
da liegt kein Segen drauf
Aus der Küche
WIRT:
Anna
wo bleibst du denn so lange?
ANNA:
Ich komm ja schon
ich komm ja schon
Die Bedienung geht in die Küche.
ALOIS:
Mir scheint
jetzt sind sie alle verrückt geworden
Der Bürgermeister
will ein Denkmal errichten
und der Hinteregger
gar den Ort umbenennen
Man sollte den Vierkanthof einreißen
dann wär’ endlich eine Ruh'
So ähnlich muss es zugegangen sein
als man in Alaska
Gold gefunden hat
Da sind auch alle verrückt geworden
Der WIRT kommt aus der Küche.
WIRT:
Was ich dich noch fragen wollte
Ich habe gehört
du hast einen Schlüssel vom Vierkanthof
ALOIS:
Aber freilich
wo ich doch noch den Garten mache
eine Vertrauensperson bin ich
das hat auch der Bruder erkannt
Einmal die Woche
lüfte ich kurz durch
und schicke dem Bruder
die Post nach Wien
Obwohl er schon ein Jahr tot ist
der Briefkasten ist jeden Tag voll
WIRT:
Nun
ich hätte da vielleicht
ein Geschäft für dich
ALOIS:
Eine Führung durch das Dorf?
WIRT:
Ja
ja
eine Führung
ist sicherlich auch drin
Weißt du
ich bekomme heute
hohe Gäste aus der Stadt
richtige Berühmtheiten
Würdenträger
ein Berater des Papstes
und ein ehemaliger Ministerpräsident
aus Deutschland
sind darunter
Und da habe ich mir gedacht
ALOIS(unterbricht):
Nein nein
Das schlag' dir aus dem Kopf
Ich führ' niemanden mehr in den Innenhof
Beim letzten Mal
haben sie einfach Blumen gepflückt
und ich habe den Ärger gehabt
WIRT:
Aber Alois
mein lieber Alois
wer redet denn vom Innenhof
ich dachte
eher an eine Führung
an eine Hausführung
ALOIS:
Durchs Haus soll ich sie führen?
durchs Haus
Ja bist du denn wahnsinnig geworden?
Das kommt überhaupt nicht in Frage
Eine Vertrauensperson
hat der Bruder mir geschrieben
Eine Vertrauensperson
verstehst du?
Glaubst du
ich setz' meine Stellung aufs Spiel?
Nein
das schlag' dir aus dem Kopf
Der WIRT holt eine Flasche und setzt sich zu ihm.
Er schüttet ALOIS einen Schnaps ein.
WIRT:
Die ganze Flasche kannst du haben
mein bester Obstler
ALOIS(leckt sich die Lippen):
Nein
WIRT:
Wo du doch fast zur Familie gehörst
ALOIS:
Nein
WIRT:
Wo du doch bald zur Familie gehören wirst
ALOIS:
Jetzt auf einmal
Erst jagst du mich zum Teufel
weil ich mit der Anna
auf Kirchweih getanzt habe
und jetzt
WIRT(unterbricht):
Alois
mein lieber Alois
ein Missverständnis
alles nur
ein dummes Missverständnis
ALOIS:
Ach Unsinn
Wer hat mir denn vorgeworfen
dass ich kein Geld habe?
Du hast mich doch
als Erbschleicher beschimpft
und mich vor all' deinen Gästen
aus dem Haus geworfen
Glaubst wohl
ich hätte das vergessen
Er versucht aufzustehen, der WIRT hält ihn zurück.
WIRT:
Musst mich verstehen
Alois
Die Anna
ist so etwas wie eine Tochter für mich
bin halt eifersüchtig gewesen
damals
Sie ist nun mal
mein ein und alles
ALOIS:
Und darum kann sie wohl auch ackern
bis sie umfällt
WIRT:
Es ist schwer
eine gute Bedienung zu finden
Und wo sie doch mal
alles erben wird
Warum mach ich denn das alles?
Damit sie es einmal besser hat
damit ihr es einmal besser habt
ALOIS:
Du bist und bleibst ein Gauner
Hinteregger
Ich hätte es wissen müssen
nicht umsonst hast du mich eingeladen
Und deine Nichte
willst du auch verschachern
Pfui Teufel
Hinteregger
Er steht auf.
Pfui Teufel
Die treue Seele Alois
hat er gesagt
Eine Vertrauensperson
hat sein Bruder geschrieben
Den einzigen Freund
den ich habe
hat er gesagt
und daran halt' ich mich
Hinteregger
Damit du es weißt
Mit Geld
kannst du mir nicht kommen
Servus Hinteregger
Er verlässt die Gaststube.
WIRT:
Na warte
Bürschchen
dich krieg' ich auch noch
wäre doch gelacht
Er steht auf und geht in die Küche.
Aus der Küche
Anna Anna
komm her
ich muss mit dir reden
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