Für Reiner Scheibe
PERSONEN:
LESSING, Journalist, an den Rollstuhl gefesselt
PFLEGER des Journalisten, Freund der JUNGEN FRAU
JUNGE FRAU, Freundin des PFLEGERS
MAKLER, vertritt den Hausbesitzer
sowie:
HANDWERKER, PIANIST, CONFERENCIER, WOHNUNGSSUCHENDE, GÄSTE, eine MUTTER mit ihrem KIND, ALTE FRAU, JOURNALISTEN, HUREN, BARMANN,
eine STIMME
Erste Szene
Im Arbeits- und Wohnzimmer.
Auf der einen Seite die Wohnungstür und eine Wendeltreppe, die nach oben führt, auf der anderen ein großes Fenster mit Schiebetür und Balkon. In der ganzen Breite und bis zur Decke ein übervolles Bücherregal, davor ein großer Schreibtisch, dessen Füße Aktenstapel sind. Im ganzen Raum überall verteilt, kleine und große Papier– und Aktentürme.
Hinter dem Schreibtisch im Rollstuhl der Journalist LESSING, den man durch die hohen Aktenberge jedoch nur schwerlich erkennen kann.
Von der Tür her hört man lautes Stimmengewirr.
LESSING:
Wie soll sich einer
bei diesem Lärm
konzentrieren können
Ohrenbetäubender Lärm
Menschengeschwätz
Nichtigkeiten
Bis zur Straße
werden sie wieder stehen
Seit einem Monat
jeden Mittwoch
und jeden Samstag
stehen sie bis zur Straße
Nervenkrieg
Menschengeschwätz
Die Stimmen
hoffnungslos Wartender
Man will mich Kleinkriegen
mürbe machen
Taub müsste man sein
taub
Der Anblick
dieser wartenden Meute
ist erträglich
Jede Woche
sind es wieder ein paar mehr
Von Woche zu Woche aber
werden die Stimmen
unerträglicher
Gleich wird er wieder läuten
Ich werde nicht aufmachen
wie jeden Mittwoch
wie jeden Samstag
Jeden Mittwoch
und jeden Samstag
das gleiche Ritual
Fünf Minuten lang
in kurzen Abständen
wird er läuten
in immer kürzer werdenden Abständen
Ich werde mich nicht von der Stelle bewegen
Er wird nach mir rufen
und dann einfach aufschließen
obwohl es verboten ist
Obwohl es verboten ist
wird er einfach die Tür öffnen
das Schwein
Ich sollte ihn über den Haufen schießen
Mildernde Umstände
wird man mir geben
vielleicht sogar auf Notwahr erkennen
Alles nur eine Frage
der Auslegung
Er rollt vor den Schreibtisch und dann im Slalom um die Aktentürme herum zum Fenster. Um seinen Hals hängt ein Jagdglas.
Er schaut hindurch.
Bis zur nächsten Ecke stehen sie
die Hoffnungslosen
Mir scheint die Anzahl
an Frauen mit Kindern
hat zugenommen
Vielleicht
sollte ich eine Statistik aufstellen
Mich würde es nicht wundern
wenn er für die Besichtigung
Geld nehmen würde
Die gleichen Gesichter
die gleichen Schicksale
In allen Köpfen
der gleiche ungetrübte Optimismus
Gleich wird er läuten
Sturm wird er läuten
der Makler
das Schwein
Der Besitzer
ist ein feiger Hund
er schickt seinen Zuhälter
Er schaut auf die Uhr.
Jetzt kann es nicht mehr lange dauern
In der Einhaltung der Zeit
ist er korrekt
Ein korrekter Mensch
ein Geschäftsmann
vom Scheitel bis zur Sohle
Der größte Fehler meines Lebens
ist es gewesen
hierher zu ziehen
Er schaut wieder durch das Fernglas ( diesmal in die Wohnung ).
Manchmal habe ich das Gefühl
als ob mir jeden Moment
die Augen
aus dem Kopf fallen würden
einfach so
Ich kann nichts dagegen tun
Es kommt einfach über mich
und es bleibt mir nichts anderes übrig
als zu warten
Manchmal ist der Druck so stark
dass ich Tage nur mit Warten verbringe
in der Hoffnung
dass sie endlich herausfallen
Plop
plop
wie Tischtennisbälle
Zweimal ein kurzes Plop
und sie sind draußen
Er lacht.
Beim Lesen
beim Studieren der Zeitung
trage ich eine Brille
obwohl ich überhaupt keine Brille benötige
Ich bilde mir ein
durch das Tragen der Brille
könnte ich ein Herausfallen verhindern
dabei verstärkt die Brille
nur den Augendruck
Ein Wahnsinn das Ganze
ein absoluter Wahnsinn
Das Lesen
das Studieren der Zeitung
die immer kleiner werdenden Buchstaben
die von Ausgabe
zu Ausgabe
immer kleiner werdenden Buchstaben
haben schuld daran
Der Augendruck
der überhöhte Augendruck
ist eine fürchterliche Krankheit
Der Arzt spricht von einer Überfunktion
der Schilddrüse
Er rollt hinter seinen Schreibtisch und öffnet mehrere Schubladen.
Ein ganz normales Symptom
bei einer Überfunktion der Schilddrüse
sagt der Arzt
Wenn der Arzt ein Symptom
als normal bezeichnet
weiß er meist keinen Rat
Es ist nicht normal
ein Gefühl zu haben
dass einem die Augen herausfallen
Plop
Plop
wie Tischtennisbälle
In Hamburg
hatte ich keine Überfunktion der Schilddrüse
In Hamburg
bin ich kerngesund gewesen
Die jodhaltige Luft
sagt der Arzt
hat eine Überfunktion verhindert
oder war es da die Unterfunktion
dabei habe ich die Hamburger Luft
nie als besonders gut empfunden
Er bückt sich.
Irgendwo hier muss sie liegen
Ich bin mir sicher
dass ich sie in den Schreibtisch gelegt habe
Das Archiv
es wächst mir über den Kopf
es macht sich selbständig
Von Anfang an
hat es sich selbständig gemacht
Nur
ich habe es nicht bemerkt
zu spät
die Dimension erkannt
Da ist sie ja
meine kleine Freundin
Er kommt wieder hoch.
In der Hand hält er eine Pistole.
Ich werde diesen Pedanten
ein wenig in Aufregung versetzen
Er schaut abermals auf die Uhr, rollt nach vorne und entsichert die Pistole.
Meine kleine Freundin
enttäusche mich nicht
Vier
drei
zwei
eins
Es läutet.
Vier
drei
zwei
eins
Es läutet erneut.
Die Stimmen vor der Tür werden immer lauter.
Das Läuten wiederholt sich in kürzeren Abständen.
Aus dem OFF
MAKLER:
Herr Lessing
machen Sie bitte auf
Ich weiß
dass Sie da sind
Seien Sie vernünftig
Es hat doch keinen Sinn
Lassen Sie uns
wie zwei vernünftige
Unterdessen zielt LESSING auf die Tür und drückt ab.
Von draußen hört man Schreie.
MAKLER:
Meine Herrschaften
ich bitte Sie
bewahren Sie Ruhe
Nichts ist passiert
Alles nur ein Scherz
ein Spaß
Der gute Herr Doktor Lessing
hat einen Spaß gemacht
LESSING:
Ein guter Schuss
genau wo ich ihn hin haben wollte
Seit über einem Jahr
liege ich dem Vermieter in den Ohren
er soll mir einen Gucki einbauen
Alles muss man selber machen
Es klopft jemand zaghaft an die Tür.
MAKLER:
Herr Lessing
was ist jetzt?
Machen Sie auf oder nicht?
LESSING rollt zurück zu seinem Schreibtisch.
LESSING(murmelnd):
Was fragt er mich denn
wo er doch einen Schlüssel hat
Der Makler öffnet langsam die Tür, die aber dann von unzähligen Menschen, zum Teil mit Kindern, weit aufgestoßen wird.
Die WOHNUNGSSUCHENDEN verteilen sich im Raum.
MAKLER:
Meine Herrschaften
bitte bleiben Sie zusammen
Ich darf Sie bitten
nichts anzufassen
Einige WOHNUNGSSUCHENDE gehen die Wendeltreppe nach oben hinauf.
MAKLER:
Halt
So geht das nicht
So nicht
meine Herrschaften
so nicht
Er geht auf die Wendeltreppe zu.
MAKLER:
Wenn Sie mich bitte vorbeilassen würden
Mühsam zwängt sich die Meute nach oben.
LESSING:
Nach oben wollen sie alle
Jeder möchte der erste sein
Vielleicht sollte ich die Treppe ansägen
die ich dann
mit einer Tafel versehen werde
mit der Aufschrift
Vorsicht
Treppe ist wegen Einsturzgefahr
nicht zu betreten
Wird das ein Spaß
auf Verbotsschilder
achtet sowieso niemand
wenn es um eine Wohnung
wenn es um die Existenz geht
von oben
MAKLER:
Bitte meine Herrschaften
Bitte fassen Sie nichts an
LESSING:
Wie viele Menschen
in einen Raum passen
ohne dass eine Panik entsteht
Interessant
interessant
Von Mal zu Mal werden es mehr
Möchte gerne wissen
wie es oben ausschaut
Seit zwei Monaten
bin ich nicht mehr oben gewesen
Er dreht sich um.
Was war das für ein Geräusch?
Da ist doch jemand
Da scharrt doch etwas
Hört sich an wie ein Hund
Jetzt bringen sie schon ihre Haustiere mit
Er rollt zu einem Aktenberg.
Ja was machst denn du hier?
Wo ist denn deine Mama?
Mit einer Hand zieht er ein Kind hervor und setzt es auf seinen Schoß.
Das Kind beginnt zu schreien.
LESSING:
Aber
aber
aus dem Alter sind wir doch raus
Er fährt mit dem Kind hin und her.
Was
Das macht Spaß
zu sich
Was für Zeiten
wo die Mutter ihr Kind leugnen muss
um eine Wohnung zu bekommen
Von oben eine hysterische Stimme
MUTTER:
Mein Kind
Wo ist mein Kind?
Hat jemand mein Kind gesehen?
MAKLER:
Sie haben also ein Kind
Sagten Sie nicht eben
MUTTER(unterbricht):
Mein Kind
Wo ist mein Kind?
MAKLER:
Unverheiratet und ein Kind
interessant
interessant
ein WOHNUNGSSUCHENDER:
Schreit unten nicht ein Kind?
Sofort erscheinen mehrere WOHNUNGSSUCHENDE an der Galerie.
mehrere WOHNUNGSSUCHENDE(im Chor):
Da ist das Kind
Er hat das Kind in seiner Gewalt
Die MUTTER und der MAKLER erscheinen auf der Treppe.
MUTTER:
Mein Gott
mein Kind in der Hand eines Verrückten
Warum tut denn niemand was?
Warum ruft niemand die Polizei?
mehrere WOHNUNGSSUCHENDE(im Chor):
Polizei
Polizei
LESSING schaut irritiert.
MUTTER:
Er wird es erschießen
er wird es erschießen
Die MUTTER möchte zu ihrem Kind, der MAKLER hält sie zurück.
MAKLER:
Keine Panik
keine Panik
Das Kind hat aufgehört zu schreien.
MAKLER:
So lassen Sie doch das Kind los
Herr Lessing
Ein unschuldiges Kind
Ist es das wert?
Wegen einer Wohnung
ein Menschenleben opfern
wollen Sie sich wirklich unglücklich machen?
Überlegen Sie doch
MUTTER:
Er wird es umbringen
Er wird es umbringen
DER MAKLER hält der MUTTER den Mund zu.
MAKLER:
Wir können über alles reden
Ich werde mit dem Vermieter sprechen
Noch ist die Wohnung nicht vergeben
vielleicht können Sie bleiben
Ein gefährliches Murren geht durch die Runde.
Ich bin mir sogar sicher
der Vermieter wird ein Einsehen haben
in Anbetracht Ihrer Situation
Ich verspreche
ich werde mich für Sie einsetzen
mehrere WOHNUNGSSUCHENDE(im Chor):
Schiebung
Betrug
Alles Schiebung
MAKLER:
So verschrecken Sie den armen Mann nicht
Sehen Sie nicht
dass er behindert ist
zur Mutter
Wenn Sie mir versprechen
nicht zu schreien
nehme ich meine Hand fort
Bedenken Sie
er ist zu allem fähig
Das KIND hat unterdessen die Pistole genommen und zielt damit auf die Treppe. Die WOHNUNGSSUCHENDEN flüchten wieder nach oben.
Der MAKLER versteckt sich hinter der MUTTER.
MAKLER(leise):
Gehen Sie langsam zu Ihrem Kind
haben sie keine Angst
Ich halte Ihnen den Rücken frei
Der MAKLER schiebt die MUTTER wie ein Schutzschild vor sich her.
MUTTER:
Hermännchen
Hermännchen
ein WOHNUNGSSUCHENDER:
Hermann?
Hermannstraße?
mehrere WOHNUNGSSUCHENDE:
Hermannstraße
Hermannstraße
Die WOHNUNGSSUCHENDEN stürzen die Treppe hinunter und verlassen die Wohnung.
LESSING wendet sich ab.
LESSlNG:
Feiglinge
allesamt Feiglinge
MUTTER:
Hermännchen
Hermännchen
Das KIND klettert vom Rollstuhl herunter und läuft der MUTTER in die Arme.
MAKLER:
Das wird Folgen für Sie haben
Anzeige werde ich erstatten
Geradezu gemeingefährlich sind Sie
zur MUTTER
Kommen Sie
Kommen Sie
Beide verlassen die Wohnung.
Eine JUNGE FRAU erscheint an der offenen Tür. Sie beobachtet LESSING der aus dem Fenster starrt.
Nach einer Weile schließt sie die Tür.
LESSING fährt mit dem Stuhl herum.
LESSING:
Was wollen Sie noch hier?
Die Besichtigung ist zu Ende
Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte
JUNGE FRAU:
Ich wollte zu Ihnen
LESSING:
Zu mir?
Schickt Sie der Besitzer?
Oder etwa das Amtsgericht?
JUNGE FRAU:
Ich komme wegen dem Buch
LESSING:
Was für ein Buch?
JUNGE FRAU:
Ich habe Ihr Buch gelesen
Das Beiruter Tagebuch
LESSING:
So so
mein Beiruter Tagebuch
Alle Welt sucht eine Wohnung
und Sie kommen wegen meinem Buch
Ihnen scheint es gut zu gehen
besser als den anderen
Er wendet sich ab, rollt zum Fenster und starrt durch sein Jagdglas.
Nach einer Weile
JUNGE FRAU(leise):
Wenn ich störe
komme ich ein anderes Mal
LESSING:
Da laufen sie wie die Ameisen
hetzen zum nächsten Termin
tragen dem Makler die Tasche bis zum Auto
küssen ihm die Füße
huldigen ihm
machen leere Versprechungen
Das ist das Zeitalter
der Makler und Zwischenverdiener
Der Bäcker erhöht die Brotpreise
nur um seinen Anlageberater bezahlen zu können
Was für Zeiten
Die Polizei
wird das Schwein nicht rufen
das traut er sich nicht
Die Polizei im Haus
bedeutet Imageverlust
Bei dem Mietwucher
kann er sich die Polizei nicht leisten
Die JUNGE FRAU steht unschlüssig im Raum, sie traut sich nicht auf LESSING zuzugehen.
Nach einer Weile verlässt sie den Raum.
LESSING:
Überall wo man hinschaut
herrscht Krieg
An den Krieg
können sich die Menschen gewöhnen
Ich weiß wovon ich rede
Seitdem ich denken kann
befinde ich mich mitten drin
in der Pufferzone
in der so genannten Pufferzone
An den Krieg
gewöhnen sich die Menschen
nur der Friede
ist ihnen unheimlich
Er rollt zu einem der Aktenstapel und zieht ein Dossier heraus.
Er liest laut die Überschrift
LESSING:
Beirut
Weihnachten
Er rollt hinter seinen Schreibtisch und holt eine Flasche Whisky hervor.
LESSING:
Volle Flaschen
haben so etwas Unschuldiges an sich
Bevor er sich ein Glas sucht und einschüttet, nimmt er schon einen kräftigen Schluck.
LESSING:
Beirut
Weihnachten
Mein Beiruter Tagebuch
es ist zum Lachen
Langsam verschwindet das Bücherregal und eine Beiruter Hotelbar wird sichtbar. In der Mitte der Bar steht ein Weihnachtsbaum mit bunten blinkenden Lampen, davor
JOURNALISTEN und HUREN. In französischer Sprache singen sie "Stille Nacht, Heilige Nacht".
LESSING:
Das ganze Buch
eine Lüge
eine so genannte Lebenslüge
Internationaler Flughafen
Taxi
Hotel
Zimmer
Bar
Immer nur in der Hotelbar gewesen
die ganze Zeit
Draußen haben sie geschossen
Die Botschaft längst geschlossen
da haben wir noch Karten gespielt
Nein nein
das war Hanoi
das muss Hanoi gewesen sein
Ich verwechsle es
mit Hanoi
In Beirut
haben wir nur Whisky getrunken
Galone um Galone
Der Barpianist hat durch uns
ein Vermögen verdient
in dieser Zeit
Jede Nacht ein endloses Warten
Draußen ratterten die Maschinengewehre
zischten die Katschukas
und der arme Teufel
von Pianospieler
musste spielen
anspielen
gegen die Welt da draußen
Wir haben ihn nicht weggelassen
spielen musste er die ganze Nacht
An manchen Abenden war das Eis
teurer als der Whisky
Na denn Prost
LESSING nimmt einen kräftigen Schluck. Der Pianospieler spielt einen Tusch. Die Anwesenden klatschen. Ein "Fröhliche Weihnacht’" in verschiedenen Sprachen macht die Runde.
Der BARPIANIST spielt wieder seine Musik.
LESSING:
Der Pianist spielte
was das Zeug hielt
Um seine Seele
hieß es damals
Mit dem Teufel
um die Wette
Wir haben gelacht
und ihn mit Münzen beworfen
Ich habe in der Bar geschlafen
wie fast alle
Die Berichte abgeschrieben
und keine Zeit gehabt
den Tripper zu kurieren
Er rollt mit der Whiskyflasche und einem Glas auf dem Schoß in die Bar. Die JOURNALISTEN und die HUREN sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie ihn nicht beachten. Von einem Kleiderständer nimmt LESSING eine weiße Smokingjacke und zieht sie über.
LESSING(laut):
Wir alle
haben die Berichte abgeschrieben
abgeschrieben
abgeschrieben
Niemand in der Bar beachtet LESSING.
LESSING:
Keinen von meinen Berichten
hat die Agentur haben wollen
da habe ich sie bedient
Die Wahrheit
kommt ins Tagebuch
Er lacht laut.
Wir alle haben die Weltöffentlichkeit
mit irgendeiner Scheiße bedient
Hört ihr
wir alle haben die Welt beschissen
Fröhliche Weihnachten
Hauptsache
es ist einfach und stimmig
Nur nicht die Wahrheit
bloß nicht die Wahrheit
Die Menschen wollen Information
und keinen Ekel
Quoten
Auflage machen
darum geht es
nicht wahr
meine Freunde
Er nimmt einen kräftigen Schluck.
Die Menschen bloß nicht anekeln
nicht schocken
Ein vietnamesisches Mädchen
nackt
auf einer Straße
Mit Angst im Gesicht
Ja
so ein Bild
geht um die Welt
weil es harmlos ist
So ein Bild
kann man sich zum Frühstück
beim Studieren der Zeitung
getrost antun
so ein Bild schon
Da schmecken Eier und Salzstangen immer noch
Ausstellungen
kann man mit solchen Bildern machen
Preise gewinnen
Die Agenturen lechzen
nach solchen Bildern
Er nimmt sein Glas und schmeißt es in den Weihnachtsbaum.
LESSING:
Ich habe andere Bilder gesehen
Wir alle haben andere Bilder gesehen
Wir müssen damit leben
Halb verweste Menschen
Körperfetzen
einzelne Köpfe
Prost und Fröhliche Weihnachten
Er nimmt einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
Verklebte Leichen
wie wäre es damit
Bis zu vier Menschen habe ich gesehen
die ineinander verschmolzen waren
Ein Vater beugt sich zum Schutz
über seine Frau und seine beiden Kinder
Die glückliche Familie
die heilige Familie
Fröhliche Weihnachten
Er nimmt einen kräftigen Schluck.
LESSING:
Es wird Zeit
dass wir nach draußen gehen
Hört ihr
Wir dürfen die Wahrheit nicht länger
in unseren Köpfen behalten
Wir müssen sie hinausschreien
und nicht im Archiv ablegen
Lasst uns nach draußen gehen
Vergeblich versucht er sich im Rollstuhl aufzurichten.
ein JOURNALIST(ruft laut):
Vorsicht Heckenschützen
LESSING stürzt zu Boden und hält zum Schutz die Hände über den Kopf, dabei zerbricht die Whiskyflasche.
Die JOURNALISTEN und HUREN lachen. Der PIANOSPIELER spielt einen Tusch.
Grapefruit moon
PERSONEN:
MICHAEL, ledig, Dozent
ULF, verheiratet, zwei Kinder, Angestellter
HERBERT, verheiratet, bisexuell, Beamter
THEO, Strafentlassener
Alle vier kennen sich schon seit ihrer Schulzeit.
MARIA, Barfrau
HILDE, Transvestit und Sänger
sowie:
ein NACHRICHTENSPRECHER, ein PIANOSPIELER, GESELLSCHAFTSDAMEN, drei ÄLTERE HERREN, STRIPTEASETÄNZERIN, PUTZFRAUEN
Das Stück spielt in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Erste Szene
In der Wohnung von THEO.
Das Wohnzimmer bestehend aus Sitzecke, Esstisch, Wohnzimmerschrank und Fernseher. Der Raum hat drei Türen, über der einen hängt ein Transparent: »Herzlich Willkommen Theo«, eine andere Tür führt in die Küche, die dritte ins Schlafzimmer.
Aus dem Schlafzimmer: Staubsaugergeräusche. Aus der Küche: Geschirrgeklapper.
Nach einer Weile: eine Stimme aus der Küche
MICHAEL(ruft):
Ulf
kannst du mal das Radio anmachen
Es kommen gleich Nachrichten
Und schalt um Gotteswillen
den scheiß Staubsauger ab
ist ja nicht zum aushalten
Der Staubsauger wird abgestellt.
ULF kommt mit einer Schürze bekleidet aus dem Schlafzimmer.
ULF:
Total verdreckt die Bude
Ist ja auch kein Wunder
nach all den Jahren
Hat sich ja niemand drum gekümmert
zur Küche hin
Wenigstens das Grobe
muss ich doch wegmachen
Er sucht das Radio.
Seit wann interessierst du dich
für die Nachrichten?
Aus der Küche
MICHAEL:
Die Quoten will ich hören
Die Lottoquoten
Sieben Millionen sind im Pott
MICHAEL kommt ins Wohnzimmer.
Auch er hat eine Schürze um, in der Hand hält er einen Teller und ein Handtuch.
MICHAEL:
Stell dir vor
sieben Millionen
Was man damit alles machen kann
Ein alter Bugatti
eine Yacht
‘ne Insel in der Südsee
mit knackig braunen Mädchen drauf
mit solchen Titten
Er macht eine ausholende Armbewegung.
ULF:
Südseemädchen haben keine großen Titten
die sind höchsten so groß
wie Grapefruits aber dafür
schön fest und rund
MICHAEL:
Ist doch wirklich scheißegal
aber ich sag dir eins
Bei sieben Millionen
haben die auch große Titten
darauf kannst du dich verlassen
ULF hat das Radio gefunden, er macht es an.
Aus dem Radio hört man die Stimme des NACHRICHTENSPRECHERS.
NACHRICHTENSPRECHER:
Die wegen Polizistenmordes verurteilte
frühere Angehörige der terroristischen
Rote Armee Fraktion
Angelika Speitel
ist vom Bundespräsidenten
begnadigt worden
Das Bundespräsidialamt bestätigte gestern
einen Bericht des Nachrichtenmagazins
Der Spiegel
Die Ex-Terroristin
die noch in der Justizvollzugsanstalt
Köln-Ossendorf sitzt
soll demnächst auf freien Fuß
gesetzt werden
Ein ebenfalls an den Bundespräsidenten
gerichtetes Gnadengesuch
des früheren
ULF schaltet das Radio wieder ab. MICHAEL schaltet es wieder ein.
MICHAEL:
Ich will die Quoten wissen
NACHRICHTENSPRECHER:
Der innenpolitische Sprecher
der CDU/CSU
hat die Entscheidung im Falle Speitel
als verfrüht bezeichnet
Es sei unverständlich
warum bei ihr eine lebenslange
Freiheitsstrafe
nur zwölf Jahre
Freiheitsentzug bedeuten solle
während andere Mörder
die nicht aus der Terrorismusszene kämen
in der Regel 15 bis 30 Jahre
für Mord büßen müssen
ULF schaltet das Radio wieder aus.
ULF:
Ist ja nicht zum aushalten
MICHAEL:
Und die Lottoquoten?
ULF:
Scheiß auf die Quoten
Das muss man sich mal vorstellen
da wird die begnadigt
als ob nichts gewesen wäre
da wird so eine einfach begnadigt
von unserem Herrn Bundespräsidenten
nach lächerlichen zwölf Jahren
Unsereins würde da vermodern
kein Hahn würde nach einem krähen
Und so eine wird einfach begnadigt
MICHAEL:
Von wem redest du eigentlich?
ULF:
Hast du eben nicht gehört?
MICHAEL(ärgerlich):
Ich wollte die Lottoquoten hören
ULF:
Von der Terroristin red‘ ich
die von der RAF
die begnadigt werden soll
Na wie heißt sie denn gleich noch?
Haben sie eben doch noch gesagt
MICHAEL:
Aber nicht die Lottoquoten
ULF:
Sei doch mal still
Der Name liegt mir auf der Zunge
MICHAEL:
Ist ja auch egal
hab ja sowieso
ganz andere Zahlen gehabt
ULF:
Ich hab’s Speidel
Genau
Speidel heißt die Tante
wie die Schauspielerin
kennst du doch
ist so in unserem Alter
und noch ganz gut in Schuss
MICHAEL:
Ja ja
Ich weiß wen du meinst
die Rotblonde
mit der würde ich auch gern mal
Die hätte nichts zu Lachen
ULF(nachdenklich):
Da buchten sie den Theo
für sechs Jahre ein
Muss die Zeit voll absitzen
obwohl er ein anständiger Bürger ist
Und so eine Polizistenmörderin
Terroristenfotze
kommt nach zwölf Jahren
schon wieder raus
Ich sag dir
dieses Land geht den Bach runter
MICHAEL:
Muss dir ehrlich sagen
Speidel sagt mir nicht viel
Ich meine
Speidel als Schauspielerin
Ja
Aber als Terroristin
wirklich
habe ich noch nie etwas von gehört
ULF:
Willst sie auch noch in Schutz nehmen
was?
So etwas gehört mindestens
lebenslänglich hinter Gitter
wenn nicht noch mehr
oder abgeschoben
Ich bin wirklich kein Freund der Todesstrafe
aber bei so einer
Es gibt keine Gerechtigkeit mehr
Aber ich sag dir
das wird noch viel schlimmer werden hier
Armer Theo
Der Theo hatte wenigstens einen Grund
MICHAEL:
Armer Theo
dem hat das Schicksal arg mitgespielt
Beide setzen sich.
ULF:
‘Ne Zigarette?
Er bietet ihm eine an.
MICHAEL:
Danke
ULF gibt ihm Feuer. Beide rauchen schweigend.
Nach einer Weile
ULF betrachtet seine brennende Zigarette
ULF:
Theo hat ja damit aufgehört
wegen der Kohle
Hauptsache er hat die Wohnung
nicht verkaufen müssen
So hat er wenigstens einen Platz
ein Zuhause
wenn er rauskommt
MICHAEL:
Könnt ich nie
Überhaupt Knast
würde ich nicht überleben
Dann schon eher die Kugel
ULF:
Ja ja
das sagt sich so leicht
Weißt du noch vor Gericht?
Als der Richter
er stockt
als der Richter das Urteil verkündete
Sechs Jahre ohne Bewährung
Und Theo?
Nicht einmal mit der Wimper hat er gezuckt
Das ist wahrer Charakter
Hätte ich ihm gar nicht zugetraut
MICHAEL:
Der Verteidiger ist ja auch eine Flasche gewesen
so ein richtiges Muttersöhnchen
ULF:
Der war schwul
ich sag’s dir
Hundertprozentig
Das war eine Tunte
wie sie im Buche steht
Der hat unter seiner Robe
bestimmt Strapse getragen
Beide lachen
MICHAEL:
Da kannst du Recht haben
Auf jeden Fall
war er nicht verheiratet
konnte also gar nicht mitreden
ULF:
Bist du doch auch nicht
MICHAEL:
Das ist doch etwas ganz anderes
Ich habe beide sehr gut gekannt
war sogar Trauzeuge
wenn du dich erinnern magst
MICHAEL nimmt einen kräftigen Zug.
ULF:
Und dann der Staatsanwalt
Der Staatsanwalt
eine Frau
Eine Frau
in so einem Prozess
das roch doch direkt nach Verfahrensfehler
In so einem Prozess
eine Frau
da hatte er überhaupt keine Chance
Und wie die ausgesehen hat
richtig verbittert
MICHAEL:
Wahrscheinlich hat sie lang keinen
mehr drin gehabt
die Tante
ULF:
Lesbisch
So wie die aussah
Lesbisch
Lesbierinnen erkenne ich schon auf
hundert Meter Entfernung
Die gehen irgendwie anders
MICHAEL:
Wer weiß
was die zwischen den Beinen
alles so mit sich führen
Beide lachen.
MICHAEL steht auf.
Ich hol mir ein Bier
willst du auch eins?
ULF:
Na klar
bei der staubigen Luft
MICHAEL geht in die Küche.
ULF:
Ich glaube
ich hätte es genauso gemacht
MICHAEL(ruft):
Ein kaltes oder ein warmes ?
ULF:
Kalt natürlich
Also
wenn meine Inge
mir das antun würde
ich würde genauso durchdrehen
Ist ja auch ganz normal
steht ja schon in der Bibel
MICHAEL(ruft):
Was steht in der Bibel?
ULF:
Na das mit der Ehebrecherin
wurde einfach gesteinigt
MICHAEL kommt mit dem Bier wieder.
MICHAEL(lachend):
Soviel Steine gibt es in ganz Deutschland nicht
ULF:
Da kannst du Recht haben
Beide prosten sich zu.
Also
wenn das meine Inge machen würde
ich tät‘ schon durchdrehen
Da geht man ein Leben lang schuften
für die Familie
rackert sich ab
und die liebe Ehefrau fängt ein Verhältnis an
Am besten noch mit einem Jüngeren
Weißt du
das habe ich der Inge auch gesagt
wenn sie beispielsweise
er überlegt
sagen wir mal
mit dir
etwas anfangen würde
MICHAEL macht einen erschrockenen Eindruck, fängt sich aber schnell wieder.
MICHAEL:
Wieso ausgerechnet ich?
ULF:
Ist doch nur ein Beispiel
Also nehmen wir einmal an
du und meine Inge
ihr hättet etwas miteinander
Ich meine da kann man ja drüber reden
nicht?
MICHAEL:
Drüber reden kann man
warum nicht
ULF:
Du und Inge
das wäre sogar verständlich
MICHAEL:
Also ich weiß nicht
ULF:
Warum?
Ihr kennt euch nun einmal lange
und dann ist es halt einmal
Ich betone
einmal
passiert
Nein wirklich
würde ich drüber wegkommen
Vielleicht ein paar Ohrfeigen
ein blaues Auge
im Affekt
aber das wäre es denn auch schon
MICHAEL(ängstlich):
Du würdest dich also mit ihm schlagen?
ULF:
Ach wo
Wie kommst du darauf?
Dir würde ich nichts tun
Sie bekäme ein paar hinter die Ohren
MICHAEL schaut erleichtert.
ULF nimmt einen großen Schluck und fährt dann fort
Aber bei einem Jüngeren
da würde ich ausrasten
da hätte ich kein Verständnis
Allein der Ästhetik wegen
Meine Inge und ein Jüngerer?
Nein danke
Da würde ich rot sehen
Das wäre mehr als eine Beleidigung
mir gegenüber
Ich schufte den ganzen Tag
so dass ich abends
total müde
ins Bett falle
und sie amüsiert sich mit einem Halbwüchsigen
Da würde ich rot sehen
Mal im Vertrauen
Bei ihren Hängetitten
glaub ich sowieso nicht daran
dass da noch einer spitz werden kann
er lacht.
Man merkt, dass das Thema MICHAEL unangenehm ist.
MICHAEL:
Hast du eine Ahnung
wann die kommen?
ULF:
Herbert holt ihn um drei ab
Dann will er ihm noch ein wenig
die Stadt zeigen
so zum eingewöhnen
hat sich ja auch viel verändert
in den Jahren
MICHAEL:
Ja Ja
Sechs Jahre sind eine lange Zeit
Sechs Jahre
ULF:
Lass uns mal wieder an die Arbeit gehen
damit wir fertig werden
Beide trinken ihr Bier auf "Ex" aus. Dann geht jeder wieder in das Zimmer.
Nach einer Weile kommt MICHAEL mit einem Tablett Geschirr herein.
Aus dem Nebenzimmer hört man wieder Staubsaugergeräusche.
MICHAEL beginnt den Tisch für vier Personen zu decken.
MICHAEL:
Sechs Jahre
Verdammt lange Zeit
Ich würde wahnsinnig werden
Sechs Jahre keine Frau
ganz schön hart
Gut
dass ich nie geheiratet habe
Ehefrauen bringen einen
entweder unter die Erde
oder in den Knast
Das hat schon mein alter Herr gesagt
der hat sich nicht umsonst scheiden lassen
Kann man sich heutzutage
gar nicht mehr leisten
eine Scheidung
Na ja
an mir ist der Kelch
noch einmal vorbeigegangen
Und das mit Theo
habe ich irgendwie kommen sehen
seine Frau war einfach zu selbstständig
hat auch mehr verdient als er
Das ist nie gut
wenn die Frau mehr verdient
Gibt nur unnötige Reibungspunkte
Theo hat darunter bestimmt gelitten
auch wenn er darüber nie geredet hat
Sie war einfach zu hübsch für ihn
und er zu gutmütig
Die hätte einen starken Mann gebraucht
zu dem sie hätte aufschauen können
Dann wäre das nicht passiert
Wie hatte das der Anwalt
noch so schön in seinem Plädoyer formuliert?
Er war halt der erste
der geschossen hat
wahrscheinlich hätte sie
das Opfer
einen Monat später oder so
genauso gehandelt
Er ist mit dem Eindecken fertig und bringt das leere Tablett in die Küche.
Er kommt mit einem Bier wieder.
MICHAEL setzt sich hin.
MICHAEL:
Keiner von uns hätte ihm das zugetraut
er war einfach nicht der Typ dazu
Ihm fehlte irgendwie der Ehrgeiz
das war schon in der Schule so
Wenn ich da nur an den Sportunterricht
zurückdenke
ein Versager auf der ganzen Linie
Schach spielen konnte er gut
aber sonst
Ich weiß noch
wie er das erste Mal mit dieser Frau
in unserem Stammlokal aufgetaucht ist
ganz schön gestaunt haben wir
Na ja
neidisch waren wir schon
Er nimmt einen Schluck.
Obwohl
solche Frauen habe ich auch abgezogen
aber nur für eine Nacht
Da bin ich Realist
So was kann man auf die Dauer nicht halten
Die wusste
wo es langgeht
das ist immer scheiße
Tanzt einem auf der Nase herum
und ehe man sich versieht
steht man als Blödmann da
Nee nee
ohne mich
Aber der Theo
war richtig Feuer und Flamme
hatte endlich was zum Angeben
Ist ja auch acht Jahre gut gegangen
Acht Jahre
was für ein Zeitraum
kann ich überhaupt nicht nachvollziehen
bin halt kein Gewohnheitstier
Drei Monate höchstens
und dann ist gut
wird ja auch sonst langweilig
in jeder Beziehung
Und außerdem entwickeln sich
die meisten Frauen
wenn sie verheiratet sind
Der Staubsauger wird abgeschaltet.
zu richtigen Muttertieren
richtigen Mamas
werden immer runder und runder
und ehe man sich versieht
liegt da so ein Fleischberg neben einem
Nein danke
Zum Glück gibt’s ja den Puff
ULF kommt mit dem Staubsauger ins Wohnzimmer.
ULF:
Was ist mit dem Puff?
MICHAEL:
Nichts
hab nur laut gedacht
ULF:
Gar keine schlechte Idee
Wir legen alle zusammen
und Theo kann endlich wieder
so nach Herzenslust bumsen
Was für ein Geschenk
Man merkt, dass ihn das Thema »aufgeilt«.
Du
muss ich dir unbedingt erzählen
Ich war letzte Woche wieder schauen
Eigentlich wollte ich gar nicht
wollt halt nur schauen
ob Frischfleisch da ist
War da so eine Schwarze
ich sage dir
glaube Marokkanerin
Da konnte ich nicht nein sagen
Die hat es mir besorgt
mein lieber Schwan
so etwas hast du bestimmt noch nicht erlebt
Mit den Füßen
verstehst du?
Mit den Füßen
das war der helle Wahn
Endlich mal eine
die ihr Geld wert war
Die ganze Zeit reibt er an dem Staubsaugerschlauch, so als ob er onanieren würde. MICHAEL schaut ihn amüsiert dabei zu.
MICHAEL:
Weißt du eigentlich
dass zwanzig Prozent alles Männer
es mit dem Staubsauger treiben
Erst jetzt merkt ULF, was er die ganze Zeit tut.
ULF:
Idiot
Du und deine Statistiken
Er rollt das Staubsaugerkabel auf. MICHAEL ist aufgestanden.
MICHAEL:
Willst du auch noch ein Bier?
ULF:
Na klar
bei der trockenen Luft hier
MICHAEL geht in die Küche Bier holen.
ULF:
Würde meine Inge
mit mir nie machen
mit den Füßen
Sie würde irgendwas von Kirche reden
und sich zur Seite rollen
MICHAEL kommt mit dem Bier wieder.
Weißt du
wenn Frauen erst einmal über vierzig sind
kannst du sie vergessen
Ab vierzig werden sie frigide
das liegt wohl in der Natur
Manchmal beneide ich dich richtig
Wenn man noch einmal von vorne anfangen könnte
MICHAEL gibt ihm ein Bier.
MICHAEL:
Na na na
Du wirst doch nicht auf deine Tage
melancholisch werden
Passt nicht zu dir
ULF:
Du hast gut reden
Beide setzen sich.
Betteln muss ich
Betteln
verstehst du?
Bei der eigenen Frau
Betteln
Ich habe das Gefühl
dass sie sich irgendwie rächen will
Dabei hat sie überhaupt gar keinen Grund
Da sind die Kinder
das schöne Haus
Sie hat alles
Sie bekommt alles
Sogar ihren eigenen Wagen hat sie
Das hat noch lange nicht jede
MICHAEL:
Vielleicht sind es die Wechseljahre
ULF:
Nimm sie auch noch in Schutz
Nein nein
da steckt was anderes dahinter
werde ich schon noch herausbekommen
MICHAEL:
Seit wann machst du dir so viele Gedanken?
Kenne ich gar nicht an dir
ULF zündet sich eine Zigarette an.
ULF:
Ich habe irgendwie das Gefühl
als ob mir die Zeit davonrennt
Und jetzt
wo der Theo rauskommt
Sechs Jahre war er drin
und die Zeit verging wie im Fluge
Verstehst du?
Nichts ist passiert
als ob man selber dringesessen hätte
Sechs Jahre
und man selber hat alles verschlafen
MICHAEL:
Jetzt übertreibst du aber
Du hast ein Zuhause
Familie
was willst du mehr?
ULF:
Das sagt der Richtige
Zweiundvierzig
Ledig
Dickes Bankkonto
Ungebunden
Und du willst mir die Vorzüge
einer Ehe
MICHAEL(unterbricht):
Kannst du dich noch an Babette erinnern?
Die Tochter des Tankstellenbesitzers
Wie wir beide
sie flachgelegt haben
Zusammen
Weißt du noch?
ULF(mürrisch):
Die hieß nicht Babette
Barbara oder so
Ja
daran kann ich mich noch gut erinnern
ihr habt mich nämlich nicht mitgenommen
Herbert und du
MICHAEL:
Was erzählst du da?
Du warst dabei
und nicht Herbert
Du hast dich doch noch so geziert
weil sie so direkt war
weil sie uns beide
gleichzeitig haben wollte
ULF:
Herbert war dabei
das weiß ich ganz genau
Herbert und du
Ich habe mich um Theo kümmern müssen
MICHAEL:
Was hatte denn der Theo damit zu tun?
ULF:
Als ob du das nicht mehr wüsstest
Ihr habt ihn doch noch bequatscht
dass er dazu kommen soll
MICHAEL:
Ja ja
ich erinnere mich wieder
war das ein Spaß
Wir so mittendrin
im wahrsten Sinne des Wortes
kommt Theo rein
zieht sich die Hose runter
und will mitmachen
Was macht Babette?
ULF:
Barbara
MICHAEL:
Ist doch gleich
Sie haut ihm eine runter
und sagt
Du Schwein
Er versucht »Babette« nachzumachen. Er lacht dabei.
Du Schwein
Wir sind sie feste am rammeln
und sie sagt
Du Schwein
Du Schwein
war das ein Spaß
Armer Theo
der hat vielleicht geguckt
Du Schwein
sagt sie
MICHAEL bekommt sich nicht mehr ein vor Lachen.
ULF schaut ein wenig ärgerlich.
ULF(ärgerlich):
Ist es jetzt gut
Ist es jetzt gut
MICHAEL(lachend):
Wir waren schon ein großes Team
ULF:
Ich sag es dir
zum letzten Mal
ich war nicht dabei
verstehst du?
Ich war nicht dabei
MICHAEL(ernst):
Ist ja schon gut
hab schon verstanden
Du warst nicht dabei
Waren es halt
Herbert und ich
ist doch nicht so wichtig
Und wenn du schlechte Laune hast
lass sie nicht an mir aus
Okay?
ULF(kleinlaut):
Bin in letzter Zeit
ein wenig gereizt
Er steht auf und geht zum Schrank, öffnet eine Tür (eine große Hausbar wird sichtbar) holt eine Flasche Cognac heraus und schüttet sich ein großes Glas ein.
Willst du auch einen?
MICHAEL:
Nein danke
ULF geht zum Fenster.
Er trinkt in langsamen Zügen und schaut aus dem Fenster.
Plötzlich nimmt er einen kräftigen Schluck, seine Augen werden größer.
ULF:
Komm mal her
Das musst du gesehen haben
Komm schnell
bevor es zu spät ist
MICHAEL kommt ans Fenster und schaut hinaus.
ULF:
Nicht da
Da musst du hinschauen
er zeigt mit dem Finger
MICHAEL macht große Augen.
Wahnsinn nicht?
Ist das ein Körper?
Sind das Brüste?
Pass auf
gleich bückt sie sich wieder
Das Höschen ist fast durchsichtig
Wahnsinn
MICHAEL:
Wie leichtsinnig
ULF:
Was sagst du?
MICHAEL:
Wie leichtsinnig
so die Fenster zu putzen
Sie wird noch runterfallen
ULF:
Jetzt
ja jetzt
Komm bück' dich schon
meine Kleine
Ja so ist schön
Hast du das gesehen
Wahnsinn
einfach Wahnsinn
MICHAEL:
Leichtsinnig
einfach leichtsinnig
Mit aller Seelenruhe
putzt sie die Scheiben von Außen
und das im vierten Stock
Seit wann bist du unter die Spanner gegangen?
Ich dachte
aus dem Alter wären wir raus
er wendet sich ab.
Tu was du nicht lassen kannst
Ich für meinen Teil
werde jetzt den Braten
in die Röhre schieben
es wäre schön
wenn du mir gleich
beim Zwiebelschneiden helfen könntest
Er geht in die Küche.
ULF:
Ob meine Inge
auch so die Fenster putzt?
Zutrauen würde ich es ihr
Abends die keusche Gattin
und morgens der Vamp
Unser Nachbar grinst mich in letzter Zeit
auch schon immer so komisch an
Ich sollte mir mal einen Tag frei nehmen
im Büro
einfach so gegen zehn Uhr zu Hause auftauchen
einfach so
Zweimal im Monat darf ich noch
das ist doch nicht normal
Sie wird ihren Ausgleich haben
und ich werde dahinter kommen
liebe Inge
darauf kannst du dich verlassen
und dann gnade dir Gott
Die armen Kinder
um die Kinder tut es mir leid
MICHAEL(aus der Küche):
Kommst du nun endlich
sonst werden wir nie fertig
ULF:
Komm ja schon
Er geht zur Hausbar und schüttet sich noch einen Cognac ein. Nachdenklich leert er das Glas in kleinen Zügen.
Nach einer Weile aus der Küche
MICHAEL:
Scheiße
Gottverdammte Scheiße
Er kommt in das Wohnzimmer, um einen Finger hat er ein Papiertaschentuch gewickelt, es ist blutdurchtränkt.
MICHAEL:
Ich habe mich geschnitten
nur weil du mir nicht geholfen hast
Hol mir mal ein Pflaster
aber schnell
Scheiße
Gottverdammte Scheiße
nur weil du dir
halbnackte Frauen anschauen musst
ULF sucht in den Schubladen nach Pflaster.
Hättest du vielleicht die Güte
dich ein wenig zu beeilen
ULF sucht weiter im Wohnzimmerschrank.
Wo suchst du denn auch
da findest du bestimmt nichts
Dich kann man auch zu nichts gebrauchen
Er geht in das Schlafzimmer. Unterdessen scheint ULF etwas gefunden zu haben. Er holt ein dickes Photoalbum aus einer Schublade.
ULF(murmelnd):
Sylt 1978
Er setzt sich an den Tisch und blättert fasziniert in dem Buch.
Nach einer Weile kommt MICHAEL wieder aus dem Schlafzimmer.
Um den Finger hat er einen großen Verband gewickelt. In der Tür bleibt er stehen und schaut auf ULF.
MICHAEL:
Schön
Wirklich sehr schön
ULF schreckt hoch.
Ich bin fast am verbluten
und du schaust dir in aller Seelenruhe
Bilder an
ULF:
Komm mal her
so was hast du noch nicht gesehen
Unser lieber Theo
Ja ja
stille Wasser sind tief
Interessiert setzt sich MICHAEL neben ULF.
MICHAEL:
Na dann zeig schon her
ULF:
Na zu viel versprochen?
MICHAEL:
Das grenzt ja schon an Pornographie
er blättert weiter
Hätte ich dem Theo gar nicht zugetraut
ULF:
Wie kann man nur solche Photos
von der eigenen Frau machen
und sie dann auch noch so offen
herumliegen lassen?
Ich meine
schlecht hat sie ja nicht ausgesehen
die Kleine
Kein einziges Härchen
am Körper
das hat schon was
findest du nicht?
MICHAEL zeigt auf ein Bild.
MICHAEL:
Schau mal
da
Ich meine
ich kann mich täuschen
aber ist das nicht Herbert?
ULF:
Herbert?
Herbert ist viel größer
MICHAEL:
Den mein ich doch gar nicht
der dahinten
das ist Herbert
ULF:
Mensch Michael
Du hast vollkommen Recht
das ist Herbert
Herbert und Theos Frau
hätte ich nie gedacht
wirklich
wäre ich nie draufgekommen
Aus der Küche kommen kleine graue Wolken.
MICHAEL:
Herbert
die linke Ratte
Macht bei uns einen auf biederen Ehemann
und vergnügt sich heimlich mit rasierten Frauen
ULF:
War er denn schon 1978 verheiratet?
MICHAEL:
Na klar
seit 1976
noch vor dir
Aber Theo war noch nicht verheiratet
ob er sie durch Herbert kennen gelernt hat?
ULF:
Keine Ahnung
er hat mit mir nie darüber gesprochen
Müsstest du eigentlich wissen
Du warst doch Trauzeuge
Die Rauchwolken werden größer.
MICHAEL:
Trauzeuge schon
aber nicht Beichtvater
Beide lachen
Riechst du das auch?
ULF:
Wenn ich gewusst hätte
dass der Herbert und die
dann hätte ich es auch einmal versucht
Bei so einer hätte ich keine Skrupel
auch wenn der Theo mein Freund ist
Sie war halt so ein Typ von Frau
die mehrere braucht
die gar nicht genug bekommen kann
wie die Barbara von der Tankstelle
MICHAEL:
Babette
nicht Barbara
ULF(nachdenklich):
Frauen
sind schon die größeren Schweine
Nach Außen
reden sie von Emanzipation
und im Endeffekt
wollen sie von uns
doch nur
flachgelegt werden
er nimmt ein Bild aus dem Album.
Bin mal gespannt
was Herbert dazu sagt
Freu mich jetzt schon
auf sein blödes Gesicht
MICHAEL:
Riechst du immer noch nichts?
ULF:
Nein
ich rieche nichts
MICHAEL:
Als ob es irgendwo brennen würde
ULF(lachend):
Vielleicht bei der Nackten von gegenüber
MICHAEL ist aufgestanden und schaut aus dem Fenster. Dann erst dreht er sich um. Jetzt entdeckt er die großen schwarzen Wolken, die aus der Küche kommen.
MICHAEL(entsetzt):
Der Braten
Scheiße
Gottverdammte Scheiße
Er rennt in die Küche.
Stammheim
PERSON:
MANN, ein verurteilter Wirtschaftsboss
Das Stück spielt in einer Gefängniszelle im Hochsicherheitstrakt von Stammheim.
1.
Eine schwere Eisentür wird zugeschlagen.
Der MANN telefoniert.
MANN:
Irgendwie
muss ich hier herauskommen
wäre doch gelacht
Hallo
Hallo
Der MANN sitzt in der Mitte des Raumes und telefoniert mit einem großen Mobiltelefon.
Hallo
Noch nicht einmal
ein Besetztzeichen
Hallo
Er legt das Telefon beiseite.
Gut
dass meine Gruppe
nicht in diesen Mist investiert hat
Er sucht in seinem Aktenkoffer nach Papieren.
Irgendwo
muss ich sie haben
Wenn ich mich in der nächsten halben Stunde
nicht bei Frau Schmidt melde
bricht in der Firma ein Chaos aus
Er nimmt das Telefon.
Hallo
Hallo
Vielleicht
sollte ich den Anbieter wechseln
Hallo
Hallo
Er presst das Telefon fest an sein Ohr.
Scheiße verdammte
ich komme hier nicht raus
Er legt das Telefon beiseite.
Der MANN steht auf und geht zum vergitterten Fenster.
Keine Wolke am Himmel
und trotzdem funktioniert es nicht
Atmosphärische Störungen
hat der Direktor
der technischen Abteilung gesagt
Atmosphärische Störungen
im einundzwanzigsten Jahrhundert
dass ich nicht lache
Warum komme ich hier nicht heraus?
Es piept.
Auf dem Weg zum Telefon.
Ich habe es gewusst
Frau Schmidt
Sie sind ein Juwel
Er fällt über einen Stuhl.
Frau Schmidt
bleiben Sie dran
halten Sie aus
Er rafft sich auf.
Frau Schmidt
ich komme
nur Geduld
Obwohl er eine Taste drückt, piept das Telefon weiter
Frau Schmidt
hören Sie mich
Sagen Sie doch was
Frau Schmidt
bitte
Er drückt mehrere Tasten. Das Telefon hört nicht auf zu piepen.
Christel
bist du es
Christel
wenn du es bist
mach auf der Stelle
die Leitung frei
Hast du verstanden
Nein
warte
Hörst du
ruf in der Firma an
ich brauche sofort die Gebrauchsanweisung
von diesem scheiß Telefon
Hallo
bist du noch dran?
Hallo
Entnervt wirft er das Telefon auf das Bett.
Keiner kommt herein
Ich komme nicht hinaus
Er stampft mit den Füßen auf den Boden.
Was ist denn das?
Er tritt mehrere Male fest auf und klopft dann die Wände ab.
Diese Idioten
Kein Wunder
das seinerzeit
die Baufirma
Konkurs hat anmelden müssen
Diese Idioten
haben tatsächlich
Stahlbeton benutzt
Stahlbeton
auf dem Kostenvoranschlag
ja
auf der Rechnung
ja
Himmel das ist normal
Stahlbeton
so etwas
verbaut man doch nicht
Alle Welt
schreibt Stahlbeton
auf die Rechnung
bei öffentlichen Ausschreibungen
bei staatlichen Bauten
Vielleicht
zehn Prozent
von der veranschlagten Summe
verbaut man
wenn überhaupt
Und ich habe Bau-Grosse
auch noch ins Geschäft gebracht
dachte wirklich
er wäre einer von uns
Wie man sich täuschen kann
was habe ich den Minister
beknien müssen
Wahrscheinlich
ist der Pool
den ich dem Minister
gestiftet habe
auch aus Stahlbeton
Na wunderbar
Grosse
was bist du nur
für ein Versager
Schießt sich auch noch eine Kugel in den Kopf
dieser Idiot
Bringt sich wegen Schulden um
War ja auch Atheist
der Grosse
Baut hier den ganzen Kasten
aus Stahlbeton
Manche Menschen
sind wirklich
nicht zu retten
Er holt aus seiner Pfeifentasche ein wertvolles Stück heraus und stopft sie genüsslich.
Wenigstens
habe ich sein Haus
auf Madeira
aus der Konkursmasse
retten können
Der Minister
hat die Kurzurlaube
immer genossen
Er zündet ein Streichholz an. Die Flamme flackert.
Zug
Hier herrscht Zug
Ich ruiniere mir doch nicht meine Pfeifen
Das Streichholz erlischt.
2.
Auf dem Boden liegen unzählige Streichhölzer. Der MANN kniet vor einer Steckdose und fuchtelt mit seinem Pfeifenreiniger in derselben herum. Im Mund zitternd eine Zigarette.
MANN:
Kein Saft
Die Heizung
bullert vor sich hin
Die Klimaanlage
läuft auf vollen Touren
und ist nicht zu regulieren
Aber den Strom
stellen sie ab
Na wunderbar
einfach wunderbar
Umständlich versucht er das Telefon zu öffnen. Der Akku fällt heraus.
Er nimmt die Pfeifenreiniger und stellt eine Verbindung zwischen Steckdose und Akku her. Funken entstehen.
Er hält die Zigarette an die Funken und zieht kräftig.
Genau so
muss sie schmecken
die Zigarette danach
Die letzte Zigarette
vor der Exekution
Was ist das
für eine Gesellschaft
was für ein Staat
wo ein Staatsanwalt
selbst Richter
ihren Beruf
ausüben dürfen
ohne in der Partei zu sein
Da stimmt doch was nicht
Das Ganze
grenzt an Anarchie
Die Blicke
allein die neidischen Blicke
bei der Offenbarung
meines offiziellen
zu versteuernden
Jahreseinkommens
waren ja eindeutig
Befangen
das ganze Gericht
war befangen
An der alten Zigarette zündet er sich sofort eine neue an.
Um mich
klein zu kriegen
müssen die sich
schon etwas besseres
einfallen lassen
Dass ich mehr
als der Bundeskanzler verdiene
ist eine Selbstverständlichkeit
Nur für den kleinen Neider
von Staatsanwalt
nicht fassbar
Wahrscheinlich ein ganz Linker
dieser Staatsanwalt
vom Richter
erst gar nicht zu reden
Grüner
oder Kommunist
Wer heutzutage
ein öffentliches Amt
bekleidet
und nicht
einer Partei angehört
muss zwangsläufig
verdächtig sein
Vielleicht
ist ihm ein Kontakt
zur Terroristenszene nachzuweisen
oder zu einem Geheimdienst
Alles nur eine Frage
von Beziehungen
Ob Christel
den Prozess verfolgt hat?
Durfte mich ja nicht umdrehen
wegen der Journalisten
und aus taktischen Gründen
Ja
auf meinen Anwalt
kann ich mich
jederzeit verlassen
Er zündet sich an der alten Zigarette eine neue an.
Wahrscheinlich
sitzt Gerhard schon beim Justizminister
Ich habe ihm Bankvollmachten übertragen
Die Nacht werde ich überleben
Eine Nacht ist doch lächerlich
Im Grunde
hätte das Strafmaß
überhaupt nicht höher
ausfallen können
hat Gerhard gesagt
Umso höher das Strafmaß
desto besser stehen die Chancen
bei der Revision
Drei Jahre
im Grunde lächerlich
Der Verfahrensfehler
liegt klar auf der Hand
Ein politischer Prozess
mit einem politischen Urteil
Da wurde mit zweierlei Maß gemessen
Wer hat denn das Gerichtsgebäude
seinerzeit
modernisieren lassen
Das bin doch ich gewesen
Spätestens Morgen
bin ich draußen
Gerhard
wird mich hier
rausholen
allein Christel
könnte es nicht ertragen
Er weiß ja
wie nah sie
am Wasser gebaut ist
Er zündet sich mit der alten Zigarette eine neue an.
Werde ohnehin
kein Auge zutun
Eine Nacht
ist doch wirklich lächerlich
Jubiläum
PERSONEN:
ALTE FRAU
JUNGER MANN
1.ARZT
CHEFARZT Professor
HAUSMEISTER
ZIVILDIENSTLEISTENDE
2.ARZT
KOWALSKI
MUSIKER
RECHEW und WAGNER zwei Schachspieler
ASSISTENZARZT
GRÄFIN Königin der Nacht
GRAF
ALLEINUNTERHALTER
INSASSEN
MINISTERPRÄSIDENT
SEKRETÄR, FOTOGRAFEN, JOURNALISTEN, ANWESENDE
1. Szene
In der Psychiatrie.
Auf dem Flur einer geschlossenen Abteilung. Rechts und links viele Türen, die mit Zahlen gekennzeichnet sind, gegenüber den Türen, Bänke. In der Mitte (nach hinten versetzt) ein übergroßes Fenster, durch das man in einen großen Saal schauen kann. Der Saal wird gerade festlich geschmückt.
Auf der linken Seite sitzen: eine ÄLTERE FRAU und ein JUNGER MANN.
JUNGER MANN:
Das Warten ist das Allerschlimmste
Die Zeit ist zäh
wie ein Kaugummi
Warten ist sinnlos
Wenn man sich entschließt
zu warten
ist man hoffnungslos verloren
Das Leben draußen
ist schnell
sehr schnell
Ein Tag mit sinnlosem Warten zugebracht
und man hat den Anschluss verpasst
Wenn man wartet
glaubt man
dass die Zeit nicht vergeht
aber genau das Gegenteil
ist der Fall
Wenn man aufhört
zu warten
ist es zu spät
um noch aufzuspringen
Wer wartet
scheidet aus
und zwar für immer
ALTE FRAU:
Ich warte nicht
habe seit langem
kein Zeitgefühl mehr
wozu auch
Ich habe nichts und niemanden
auf den ich warten kann
also warte ich nicht
Beim Arzt muss ich warten
Aber das ist kein richtiges Warten
wenn man es muss
Alles was man muss
ist nicht richtig
ist nicht wahr
Die Wahrheit kann nicht erzwungen werden
Hier muss ich sein
habe eine Vorladung
Da ich hier sein muss
bin ich nicht hier
Nur meine Angst ist hier
Es ist egal
ob ich hier sitze
oder woanders
Überall nur ein muss
Der Arzt sagt
ich sollte versuchen
an mich zu denken
JUNGER MANN:
Wieder dieses sinnlose Warten
und überall
die gleichen Flure
Diese Flure
sind wie ein Vakuum
erst durch das Öffnen der Türe
kommt die Zeit wieder
und dann ist es zu spät
Immer
wenn es längst zu spät ist
wird eine Tür geöffnet
In diesen Fluren
hängen keine Uhren
Ich habe in diesen Fluren
noch nie eine Uhr hängen gesehen
Überall da
wo das warten sinnlos ist
hängen keine Uhren
Die Ärzte sind schlaue Menschen
vorbeugende Charaktere
Ohne Uhr
auch keine Sinnlosigkeit
denken sie
ALTE FRAU:
Drüben bereiten sie eine Feier vor
Ich habe das Schild gesehen
Fünfzig Jahre
stand darauf
umrahmt von goldenen Lorbeerblättern
Ein Jubiläum
ein Geburtstag
An Geburtstagen
geht immer alles drunter und drüber
das wird hier nicht anders sein
Als ich fünfzig Jahre alt wurde
hat sich mein Mann
extra frei genommen
Der Tagesablauf wurde auf den Kopf gestellt
Zum Frühstück gab es Brötchen
Aber schön war es
Ja es war schön
An meinem fünfzigsten Geburtstag
ist mein Mann
sehr lieb zu mir gewesen
Geburtstage
sind außergewöhnliche Tage
sie stellen die Regelmäßigkeit auf den Kopf
Fünfzig Jahre
stand auf dem Schild
Ein fünfzigjähriges Jubiläum
wird gefeiert
das wirft alle Regelmäßigkeiten
über den Haufen
Fünfzig Jahre
eine schöne Zeit
JUNGER MANN:
Ich kann nur hoffen
dass ich dieses Alter nicht erreiche
Fünfzig Jahre
sinnloses Warten
werde ich nicht aushalten
Zwanzig Jahre ohne Ruth
sinnloses Warten ohne Ruth
kann ich nicht aushalten
Ich bin krank
sagen die Ärzte
weil ich ohne Ruth nichts aushalte
Ohne Ruth ist ja auch alles sinnlos
Zwanzig Jahre
ohne Ruth
nur sinnloses Warten
Und draußen
herrscht eine andere Welt
Eine schnelle Welt
auf die ich nicht mehr aufspringen kann
Ruth hat man mir einfach weggenommen
regelrecht aus der Hand
hat man sie mir gerissen
Die Eltern haben mich nie leiden können
Ihre Eltern waren von Anfang an gegen mich
Es hat mich nicht verwundert
dass sie mich angezeigt haben
Aber dennoch ist es ein Unrecht
dass man sie mir weggenommen hat
Die Welt wollte ich ihr zeigen
wie ich es ihr versprochen hatte
Aber wie soll ich ihr die Welt zeigen
wenn ich mich hier
jede Woche melden muss?
ALTE FRAU:
Hoffentlich habe ich alles dabei
Sie kramt in ihrer Handtasche und holt mehrere Zettel heraus.
Wenn man nicht alles dabei hat
muss man wiederkommen
und sich wieder hinten einreihen
Man muss so lange wiederkommen
bis man alles dabei hat
Was "alles" ist
bestimmen sie
Für ein Wiederkommen
reicht meine Angst nicht aus
dann müssen sie mich wieder holen
Wenn man alles dabei hat
muss man nicht wiederkommen
Auf der rechten Seite geht eine Tür auf. ZWEI ÄRZTE in weißen Kitteln treten heraus.
1.ARZT:
Ich habe gehört
dass sie die Jubiläumsrede halten werden
CHEFARZT:
Ja ja
man hat mich gebeten
Auch das gehört dazu
auch das sind Pflichten
eines Chefarztes
obwohl mir dies nicht sonderlich liegt
Aber was soll man machen
Das Kuratorium
die Direktion
da ist man machtlos
Man ist halt selber nur ein Rädchen
ein kleines Rädchen im Getriebe
Wussten Sie eigentlich
dass wir über 250 Mitarbeiter haben
1. ARZT verneint.
Trösten Sie sich
ich habe es auch nicht gewusst
Er blättert in den Unterlagen.
Exakt 263 Mitarbeiter
Tapfere Streiter für die Gesundheit
für das Wohlergehen
für das Wohl der Gesellschaft
für das Wohl einer Kranken-Gesellschaft
Wie finden die Formulierung?
1. ARZT:
Nun von einer kranken Gesellschaft
CHEFARZT (unterbricht):
Nein nein
das meinte ich nicht
Tapfere Streiter
habe ich in meine Rede eingebaut
Bei
Er blättert in seinen Unterlagen.
263 Mitarbeitern
dachte ich mir
es ist besser
wenn ich von einem Kollektiv spreche
und niemanden besonders hervorhebe
Man ist ja doch nicht in der Lage
an alle zu denken
wie leicht vergisst man jemanden
Nicht wahr
Herr Kollege?
Das schafft nur böses Blut
er lacht verkrampft.
Irgendjemanden vergisst man immer
Nein nein
darauf lasse ich mich nicht ein
Es soll ja ein harmonischer Abend werden
Eine schöne Jubiläumsfeier
sollte man nicht so leicht
aufs Spiel setzen
Die Herren vom Betriebsrat
werden schon zu genüge
für Aufregung sorgen
Bei
er blättert wieder in den Unterlagen
263 Mitarbeitern
kann man nicht jedem gerecht werden
Tapfere Streiter
Eine Armee
im Kampf gegen die Krankheiten
gegen die Geisteskrankheiten
Die Geisteskrankheit
ist die größte Herausforderung unserer Zeit
der wir gemeinsam und entschlossen
entgegentreten müssen
Herr Kollege
falls Sie es in naher Zukunft
auf meinen Posten
abgesehen haben
würde ich eine Möglichkeit sehen
wie Sie sich
vor einer größeren Zuhörerschar
profilieren könnten
Beide verlassen durch eine andere Tür den Flur.
JUNGER MANN:
Die weißen Wände
begleiten einen
ein Leben lang
Aus dem warmen Mutterbauch
herausgepresst
in den kalten
weißgekachelten Kreißsaal
Schon in dem weißgekachelten Kreißsaal
ist man allein
da nützt das glückliche Lächeln
der Mutter
nicht viel
Das Lächeln der Hebamme und des Arztes
ist sowieso nur aufgesetzt
Seitdem ich das Leichenschauhaus
kennen gelernt habe
kann mir niemand mehr etwas vormachen
Der Kühlraum
unterscheidet sich
in keinster Weise vom Kreißsaal
Der einzige Unterschied besteht darin
dass der Kühlraum im Keller
und der Kreißsaal im Parterre liegt
und dazwischen überall
diese weißen Wände
Überall ein nahtloser Übergang
Die Farbe weiß
macht einen krank
ALTE FRAU:
Sie werden mich vergessen haben
es wäre nicht das erste Mal
Am Empfang wird man noch freundlich begrüßt
Ein Herzlich Willkommen
kommt ihnen leicht über die Lippen
Wenn man aber erst eine Nummer hat
seine Wartenummer
ist man hoffnungslos verloren
Mir macht es ja nichts aus
Ich bin es gewohnt
vergessen zu werden
Ich bin eine unscheinbare Person
hat auch der Herr Professor gesagt
Ein netter Mensch
der Herr Professor
Meinem Mann
hat das Unscheinbare gefallen
Wir sind nie weggegangen
immer Zuhause geblieben
Zuhause
habe ich es uns schön gemacht
Uns fehlte es an nichts
ein Radio
der Fernseher
Ich war halt nicht darauf vorbereitet
als mein Mann starb
hat auch der Herr Professor gesagt
Aber wer ist schon auf den Tod vorbereitet?
Das bringen sie nie im Fernsehen
Was hätte ich schon anderes tun sollen?
Auf der anderen Seite geht eine Tür auf.
Der HAUSMEISTER und der ZIVILDIENSTLEISTENDE betreten den Flur.
Sie haben eine Werkzeugtasche und einen großen Holzkoffer dabei.
HAUSMEISTER:
Früher war alles aus Holz
Er fischt eine Flasche Bier aus dem Blaumann und nimmt einen großen Schluck.
Früher hießen ja auch alle Willi
Auf meinen Großbaustellen
hießen sie alle Willi
er lacht
Ja
in ganz Deutschland
war ich auf Montage
Karstadt in Köln
Kaufhof in München
habe ich alles mitgebaut
Und dann macht dieser dumme Wichser pleite
weil er den Hals nicht voll kriegen kann
Ja so geht das
Hast du die Maße?
ZDL:
Von der Decke ein Meter sechzig
in einem Abstand von zwei Metern
HAUSMEISTER:
Das ist mal wieder typisch
für die Herren Akademiker
überhaupt keinen Blick fürs Praktische
Anstatt sie uns die Maße von unten angeben
Jetzt muss ich wieder die Leiter holen
er nimmt einen Schluck
Holst du mal die Leiter aus dem Keller
Mürrisch verschwindet der ZDL. Der HAUSMEISTER leert die Bierflasche öffnet die Holzkiste und tauscht die Flasche gegen eine neue aus.
Er öffnet die Flasche mit dem Schraubenzieher.
Früher war alles aus Holz
Da hat man dreißig Jahre
seine Knochen hingehalten
Bei Wind und Wetter
geschuftet bis zum Umfallen
Und dann
macht die Firma pleite
Konkurs
und was bleibt übrig?
Kaputte Knochen
und eine goldene Uhr
zum Fünfundzwanzigsten
Scheiß Sozis
wären die damals
nicht an die Macht gekommen
würde ich heute
noch auf dem Bau arbeiten
Als die Wende kam
war ich schon zu lange draußen
Scheiß Sozis
Dann
hat mir das Arbeitsamt
diese Stelle vermittelt
und ich musste auch noch danke sagen
Das Leben ist hart
aber es lehrt ungemein
Na denn Prost
Er nimmt einen kräftigen Schluck. Dann holt er aus der Holzkiste mehrere Bilderrahmen heraus und legt sie den Flur entlang.
Dass ich mal
in der Klapsmühle lande
hätte ich im Traum
nicht gedacht
Da drüben
sitzen auch so zwei arme Schweine
dabei bringt die Behandlung
überhaupt nichts
Irgendwann
springen sie ja doch
vom Dach
oder laufen Amok
Und ich kann den Dreck
wieder wegmachen
Von wegen im Herbst
nur Laub kehren
schön wär's
Früher hatte man solchen
die Spritze gegeben
und alle hatten ihren Frieden
Schon gut
dass ich nicht
in die Geschlossene muss
da soll es ja drunter und drüber gehen
Nee nee
früher war alles aus Holz
Der ZDL kommt mit der Leiter zurück.
Mit dem Zollstock messen sie die Wand aus und zeichnen Punkte ein.
ALTE FRAU:
Junger Mann
so setzen Sie sich doch
Setzen Sie sich neben mich
Wir könnten uns unterhalten
JUNGER MANN:
Vielleicht sollte ich mir eine Zigarette anzünden
er setzt sich
Kennen Sie das Phänomen mit der Zigarette?
Passen Sie auf
Sie müssen sich vorstellen
Wir stehen an der Haltestelle
und warten auf den Bus
Eine Viertelstunde
Zwanzig Minuten
eine halbe Stunde
aber kein Bus weit und breit
obwohl er längst überfällig ist
Sie zünden sich eine Zigarette an
und prompt nach dem zweiten Zug
biegt der Bus um die Ecke
und sie müssen
die gerade angezündete Zigarette wegwerfen
Das gleiche gilt für das Telefon
Den ganzen Tag klingelt das Telefon nicht
draußen regnet es
und sie nehmen ein Schaumbad
Noch keine fünf Minuten in der Badewanne
schon klingelt das Telefon
ALTE FRAU:
Seit fünfzehn Jahren
haben wir Telefon
und nie hat es geläutet
obwohl ich jeden Freitag bade
Wer hätte uns auch schon anrufen sollen?
Der einzige der das Telefon benutzt hat
ist mein Mann gewesen
Jeden Morgen
hat er die Zeitansage angerufen
wegen der Uhr im Wohnzimmer
Die alte Pendeluhr ist immer nachgegangen
jetzt steht sie
Siebzehn Uhr fünfunddreißig
Die Todeszeit meines Mannes
Ich habe sie angehalten
genau wie in dem Film
mit dem bekannten Schauspieler
JUNGER MANN:
Als ich Ruth mit nach Hause genommen habe
ist das Telefon unaufhörlich gegangen
Ihre Eltern
müssen sie wissen
Ihre Eltern
sind von Anfang an
gegen unsere Verbindung gewesen
Ruth und ich
wir wollten heiraten
Ihre Eltern hielten uns für zu jung
und jetzt ist es zu spät
ALTE FRAU:
O.W.Fischer
Ja O.W.Fischer ist es gewesen
der in dem Film
die Uhr angehalten hat
Mein Mann
hat ihn nicht leiden können
den O.W.Fischer
der war ihm nicht geheuer
Er hat lieber Krimis geschaut
mein Mann
und diese Ratespiele
wo man ein Auto
oder eine Flugreise gewinnen kann
Ich habe damals die Uhr angehalten
und die Schlafzimmertür zugemacht
In der ersten Zeit ging es noch
Ich habe im Wohnzimmer auf der Couch geschlafen
bis der Geruch immer stärker wurde
Sie öffnet die Handtasche und holt ein kleines Fläschchen heraus.
Wollen sie auch einen Schluck?
sie trinkt
Cola mit Jägermeister
Früher habe ich nur Cola getrunken
aber Cola ist nicht gut
für den Magen
haben sie im Fernsehen gesagt
Jägermeister
ist gut für den Magen
hat mein Mann immer getrunken
wegen der Magengeschwüre
Cola mit Jägermeister beruhigt
JUNGER MANN:
Ich muss einen klaren Kopf behalten
Das wichtigste hier ist ein klarer Kopf
sonst ist man hoffnungslos verloren
ALTE FRAU:
Mein Mann hat viel getrunken
aber geschlagen hat er mich nie
sie nimmt einen Schluck
Nein
geschlagen hat er mich nie
Er hat es auch nicht leicht gehabt
Mit 45 Jahren Invalide
Frührentner
Er hat dann angefangen
aus Streichhölzern
Häuser zu bauen
Ja geschickt war er schon
habe ich auch den Leuten vom Fernsehen gesagt
JUNGER MANN:
In Südfrankreich
hat man mich dann festgenommen
Eine Unachtsamkeit meinerseits
Das mit dem Doppelzimmer
ist ein großer Fehler
gewesen
Wenigstens
habe ich ihr Frankreich
zeigen können
wenigstens
etwas von der Welt
ALTE FRAU:
Ja
die Leute vom Fernsehen waren sehr nett
Sie haben mich zum Essen eingeladen
und mir den Friseur bezahlt
weil ich mir Butter ins Haar machen musste
Die Leute vom Fernsehen haben gesagt
dass man die Wirklichkeit
inszenieren muss
sonst glaubt sie einem niemand
Den ältesten Kittel
habe ich überziehen müssen
Am Anfang
habe ich mich ein wenig geniert
Lampenfieber
haben die Leute vom Fernsehen gesagt
Ich hatte Lampenfieber
wie ein richtiger Filmschauspieler
JUNGER MANN:
Der vom Gericht beauftragte Psychiater
meinte in seinem Gutachten
ich hätte Ruth nur mitgenommen
das Wort "geraubt"
hat er absichtlich ausgeklammert
weil man wohl
in meinem Fall
nicht von Diebstahl
sprechen kann
um aufzufallen
Verstehen Sie?
Um aufzufallen
Der Psychiater
der gerichtsmedizinische Gutachter
glaubte allen Ernstes
ich hätte Ruth mitgenommen
um aufzufallen
Ein vollkommener Blödsinn
Deswegen bin ich hier
und muss warten
würde ich jetzt beispielsweise
einfach durch die Tür III eintreten
ohne anzuklopfen
würden sie mir glatt
eine Megalomanie unterstellen
Megalomanie ist der Größenwahn
müssen sie wissen
Nein nein
ich muss dieses sinnlose Warten ertragen
Es ist wahrscheinlich
nur eine Prüfung
Es tut mir leid für Sie
dass Sie mit darunter zu leiden haben
Sie wollen sehen
wie weit man gehen kann
Sie glauben
durch ein Nichtbeachten
meiner Person würde ich erneut auffällig
Auffällig
er wird lauter bis er schreit
AUFFÄLLIG
AUFFÄLLIG
AUFFÄLLIG
ALTE FRAU (unterbricht):
Seien Sie doch ruhig
sonst müssen wir wiederkommen
Für mich bedeutet es die Hölle
wenn ich wiederkommen muss
Allein die vielen Menschen
auf der Straße
und im Bus
wie sie mich anstarren
wie sie andauernd auf mich zukommen
Nehmen sie Rücksicht auf mich
bitte
er setzt sich wieder
JUNGER MANN:
Es hat sowieso keinen Sinn
Wenn die wollen
dass wir warten
warten wir
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